Vogelgrippe: Die Angst vor der Stille
Von Till Weingarten
Vor einem Jahr vernichtete die Vogelgrippe den
Geflügelbestand von Lorenz Eskildsen: 16 000 Gänse, Puten
und Hühner wurden getötet. Geblieben sind vor allem
finanzielle Lasten. Doch nicht nur damit hadert der
sächsische Züchter, der sich für einen Neuanfang entschied.
Diese Ruhe. Kein Gackern mehr, kein Schnattern
mehr. Einfach nur Lautlosigkeit. "Das schmerzte richtig in
den Ohren", erinnert sich Lorenz Eskildsen. Vor einem Jahr
sind auf seinem Hof im sächsischen Wermsdorf 16 000 Gänse,
Puten und Hühner getötet werden. Die Bilder gingen um die
Welt: Männer in gelben Schutzanzügen hinter Absperrungen,
Seuchenwannen, Gasanlagen auf dem Gelände der Wermsdorfer
Gänsezucht GmbH. "Das war schon heftig", sagt Eskildsen ein
Jahr später, "an den Tieren hing auch mein Herz."
H5N1, auch als Vogelgrippe-Virus bekannt, hat Anfang 2006
Deutschland erreicht. Von Rügen aus, wo die ersten
infizierten Vögel gefunden wurden, bahnte es sich ab Mitte
Februar seinen Weg und löste teilweise Panik aus. Die
Vorräte des Grippemittels Tamiflu waren innerhalb kürzester
Zeit ausverkauft. Geflügelfleisch und Eier blieben dagegen
in den Regalen liegen. Verängstigte Bürger sagten ihren
Urlaub auf der Ostseeinsel Rügen ab. Und im Namen der
Seuchenprophylaxe wurden Tausende von Tieren getötet.
In der hochgefährlichen Asia-Variante gelang H5N1 auch in
Eskildsens Putenstall. Deutschland hatte den ersten
Vogelgrippe-Fall in einem Nutztierbetrieb. Damit kam das
Todesurteil für den gesamten Geflügelbestand des Züchters.
Heute schnattern wieder 5 000 Gänse in seinen 32 Ställen.
Der 42-Jährige hat sich für einen Neuanfang entschieden:
"Wir wollten engagiert weitermachen, allerdings nur mit
Zuchtgänsen", erklärt Eskildsen, "das ist seuchenhygienisch
ungefährlicher als Puten. Die Puten sind nun mal der
Staubsauger des Geflügels, die nehmen alles auf."
Das Kapitel Vogelgrippe, das hat Eskildsen aber noch nicht
abgeschlossen - vor allem zwei Fragen treiben ihn bis heute
um: Wie kam H5N1 in seinen Stall, und wie kann dies künftig
verhindert werden?
Sein Betrieb in der Nähe von Leipzig ist idyllisch gelegen,
aber nach Ansicht von Experten daher auch risikoreich. Denn
in der Nähe von Eskildsens Hof sind die Wermsdorfer Teiche.
Hunderte von Schwänen, Enten, Haubentauchern schwimmen hier.
Reiher überfliegen das Wasser. Vögel, wo hin man schaut.
Wildvögel könnten daher das H5N1-Virus vor einem Jahr auch
eingeschleppt haben, so die Meinung von Wissenschaftlern und
Politikern. Dies könne erneut passieren.
Rosemarie Heiß, Betriebstierärztin auf der Eskildsen-Farm,
begleitete damals die Massentötungen, und sie ist von dieser
Theorie nicht überzeugt: "Infizierte Wildvögel wurden in der
Nähe nicht gefunden", sagt Heiß. Und auch das schnelle Töten
von Hühnern und Gänsen, bei denen kein Virus gefunden wurde,
bereitet der Veterinärmedizinerin Kopfzerbrechen. "Wir
hätten die Ställe gern hermetisch abgeriegelt und
beobachtet, ob das Virus wirklich auf alle Ställe übergreift
und ob die Tiere das möglicherweise überleben. Das hätte
neue Erkenntnisse bringen können."
Amtstierarzt Ingolf Herold, in dessen Verantwortungsbereich
Eskildsens Hof fällt, hält das für falsch: "Aus
tierseuchenrechtlicher Sicht wird man so etwas nie machen
können. Wenn das Virus es schafft, einen infizierten Bestand
zu verlassen, aus welchem Grund auch immer, verlieren sie
die Kontrolle."
Herold geht davon aus, dass das Vogelgrippe-Virus von
Mitarbeitern der Geflügelfarm eingeschleppt wurde. "Wie das
passierte, wissen wir nicht, aber es scheint der
wahrscheinlichste Weg." Einen Beweis gibt es aber auch dafür
nicht. So sind auch ein Jahr nach dem ersten
Vogelgrippenausbruch in einem Nutzgeflügelbestand in
Deutschland die Fragezeichen groß, wie das Virus sich seinen
Weg geebnet hat.
Geblieben sind auch finanzielle Lasten. Eskildsen hat sein
Unternehmen in jahrelanger Arbeit aufgebaut. Vor 17 Jahren
kam er nach Sachsen, er stammt aus einer norddeutschen
Züchterfamilie. Mehr als zwölf Millionen Euro hat er in
Schlachtereien, Mast- und Zuchtbetrieb investiert. Eine
halbe Million Gänseküken schlüpften vor der Vogelgrippe
jährlich auf dem Gelände und wurden nach ganz Deutschland
zur Aufzucht verschickt; in zwei weiteren ostdeutschen
Gemeinden betreibt er ähnliche Zuchtbetriebe.
Eskildsen hatte sich auf Freilandgänse und Bio-Puten
spezialisiert, er hatte es zuletzt ganz nach vorne in die
Riege der europäischen Gänsezüchter geschafft, belieferte
andere Züchter aus Deutschland, aus Ungarn, Kanada und
Südafrika.
Sein Zuchtbetrieb hat für die 16 000 getöteten Tiere
Schadensersatz aus der Tierseuchenkasse bekommen. Je nach
Alter und Gewicht zwischen 2,50 Euro und 51 Euro pro Tier -
nicht genug, um alle Verluste abzudecken, die Lorenz
Eskildsen mit mindestens einer Million Euro beziffert. "Die
Verluste durch den Stillstand meiner Geflügelproduktion sind
nicht zu berechnen. Die Tierseuchenkasse ersetzt nur Tiere,
aber keine Bruteier. Wir hatten die Brütereien voll mit
50 000 Eiern. Und was ist mit dem Futter, was tonnenweise
entsorgt wurde? Mir wurde davon null ersetzt."
Eskildsen hadert auch mit der verlängerten Stallpflicht, die
es ihm bis Ende Oktober dieses Jahres verbietet, seine Gänse
ins Freie zu lassen: "Wir produzieren im Moment wieder
250 000 Gänseküken. Die Zuchtgans muss zehn Stunden pro Tag
raus ans Tageslicht. Im Stall vermehrt sie sich nicht oder
nur sehr schwer."
Eine Ausnahmegenehmigung, wie sie einigen seiner Kollegen in
anderen Bundesländern erteilt wurde, ist für den sächsischen
Züchter nicht in Sicht. Denn Wernsdorf liegt in einem
Risikogebiet. Eskildsen wird sich unter diesen Bedingungen
behaupten müssen, auf dem kleinen, deutschen Markt für
Zuchtgänse. Schon jetzt kommen knapp 90 Prozent der Gänse,
die in Deutschland verzehrt werden, aus Ungarn und Polen.
Doch was passiert, wenn der nächste Vogelgrippen-Alarm
kommt? In diesem Jahr ist Deutschland noch davongekommen. In
Großbritannien ist vor eineinhalb Monaten in einem
Nutzgeflügelbestand das Virus nachgewiesen worden. Zuvor gab
es in Ungarn zwei Fälle.
Das Friedrich-Loeffler-Institut hat zwar inzwischen einen
Impfstoff für Nutzgeflügel entwickelt. Doch dieser muss noch
einige Tests durchlaufen. Bis er zur Verfügung steht, kann
es noch einige Jahre dauern. Eskildsen sieht die Situation
daher ganz pragmatisch: "Ich lebe nicht mit der Angst", sagt
der große Mann mit Halbglatze und einer kleinen Nickelbrille
und strafft die Schultern. "Wenn man Angst hat, braucht man
morgens gar nicht aufzustehen."
HANDELSBLATT, Donnerstag, 22. März 2007, 09:06 Uhr