Britischer Vogelgrippefall schreckt Europa auf / Erste Importverbote für britisches Geflügel
Der Ausbruch der Vogelgrippe in Großbritannien hat auch in
anderen Ländern der Europäischen Union neue Sorge ausgelöst.
Experten erwarten weitere Fälle der Vogelgrippe. Mehrere
Länder zogen erste Konsequenzen.
Russland und Irland erließen am Montag
Importverbote für Geflügel und Geflügelprodukte aus dem
Königreich. Dort sollte das Keulen von 160 000 Puten im
Betrieb von Europas größtem Truthahnzüchter Bernard Matthews
zu Ende gehen, in dessen Bestand das auch für den Menschen
hoch gefährliche H5N1-Virus aufgetreten war. Die EU zeigte
sich auch nach dem Ausbruch der Tierseuche in Großbritannien
und Ungarn zuversichtlich, die Krankheit unter Kontrolle zu
halten. "Wir haben es im vergangenen Jahr geschafft und ich
bin optimistisch, dass wir das auch in diesem Jahr schaffen
werden", sagte EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou in
Brüssel.
Am Dienstag kommen Tierseuchen-Experten aus allen
27 Euro-Staaten in Brüssel zusammen, um über die Entdeckung
des auch für Menschen gefährlichen Virustyps H5N1 in einer
der größten englischen Geflügelfarmen zu beraten. Derzeit
soll es auf EU-Ebene aber keine besonderen Schutzmaßnahmen
geben.
Das russische Einfuhrverbot betrifft nach Angaben der
Veterinärbehörde lebendes Vieh, Bruteier, Geflügelfleisch
und alle nicht ultrahoch erhitzten Fleischprodukte. Es tritt
am Dienstag in Kraft. Irland verbot einem Rundfunkbericht
zufolge Geflügelimporte für Vogelschauen und Bauernmärkte.
Das zu Großbritannien gehörende Nordirland sei davon nicht
betroffen, meldete der Sender RTE unter Berufung auf das
Agrarministerium.
Frankreich kündigte Wachsamkeit an, um ein Übergreifen der
Vogelgrippe auf sein Territorium zu verhindern. Das Land sei
auf alle Eventualitäten vorbereitet, erklärte das
Agrarministerium in Paris. Die Bundesregierung in Berlin
sieht nach Angaben des Verbraucherschutzministeriums derzeit
keinen Anlass zu weitergehenden Maßnahmen. Die bestehenden
Vorkehrungen reichten aus. Auch in der Bundesrepublik hatte
die Vogelgrippe Anfang 2006 grassiert.
Wie EU-Kommissar Kyprianou erwartet auch der führende
britische Virologe Nigel Dimmock weitere Fälle von
Vogelgrippe. Sollte das Virus von einem Wildtier in Matthews
Bestand eingeschleppt worden sein, sei mit einer Ausbreitung
der Seuche zu rechnen. Jeder frei fliegende Vogel könne das
Virus in sich tragen.
Rund um den Mastbetrieb in der Nähe von Holton in der
südostenglischen Grafschaft Suffolk gilt seit dem Wochenende
eine Drei-Kilometer-Schutzzone. Innerhalb des Sperrbezirks
müssen Schutzanzüge und Atemmasken getragen werden. Der
Zugang wird streng kontrolliert. Mehr als 50 000 Truthähne
wurden in der Farm, die dem britischen Agrarkonzern Bernard
Matthews gehört, bereits vergast. Die Kadaver werden dann
weggekarrt und verbrannt, um jedes Risiko einer
Weiterverbreitung zu vermeiden. Zuvor waren insgesamt mehr
als 2500 Truthähne an dem Virus gestorben.
Die britischen Behörden versicherten weiterhin, dass für
Menschen kaum eine Gefahr bestehe. Umweltminister David
Miliband sagte, alle Schutzmaßnahmen liefen nach Plan.
Unklar ist noch, wie das H5N1-Virus in die Farm gelangen
konnte. Miliband sagte, die "wahrscheinlichste Variante" sei
die Übertragung durch einen Wildvogel. "Wir prüfen aber auch
alle anderen Möglichkeiten." Dazu gehört auch die These,
dass es eine Verbindung nach Ungarn geben könnte, wo das
Virus bereits vor zwei Wochen in einer Gänsezucht
aufgetaucht war. Matthews hat auch in Ungarn mehrere
Betriebe.
Im Januar war H5N1 auf einem Gänsehof in Ungarn nachgewiesen
worden. Dort mussten Tausende Tiere getötet werden. Es war
der erste Fall in der Europäischen Union (EU) seit rund
einem Jahr. An der Vogelgrippe-Variante H5N1 sind seit 2003
auch mindestens 270 Menschen erkrankt. 165 von ihnen starben
- die meisten davon in Asien. 200 Mill. Vögel sind bereits
an dieser besonders aggressiven Form der Vogelgrippe
gestorben oder wurden vorbeugend getötet. Zu der von
Wissenschaftlern befürchteten Mutation in einen von Mensch
zu Mensch übertragbaren Virus ist es aber bislang nicht
gekommen.
Besondere Bedeutung kommt dem Bundesforschungsinstitut für
Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut, FLI) zufolge in
den nächsten Wochen der Beobachtung von Wildvögeln zu. Die
aktuellen Fälle in Europa hätten bewiesen, dass der Erreger
H5N1 noch in den Wildvogelpopulationen vorhanden sei,
betonte FLI-Chef Thomas Mettenleiter in einem dpa-Gespräch.
In den vergangenen Wochen seien wegen der kälteren Witterung
zwar mehr tote Tiere gefunden worden, der
Vogelgrippe-Erreger sei aber bisher nicht nachgewiesen
worden.
HANDELSBLATT, Montag, 5. Februar 2007, 16:31 Uhr