Nach Vogelgrippefall in Nutztierbetrieb: Vogelgrippe wird an allen Fronten bekämpft

14 000 Geflügeltiere in Sachsen müssen als Konsequenz aus dem ersten Vogelgrippefall in einem Nutztierbestand ihr Leben lassen. Der Nationale Krisenstab von Bund und Ländern hat unterdessen über ein weiteres Vorgehen beraten.
BERLIN. In Sachsen konnte eine Ausbreitung der Tierkrankheit nach Angaben der Behörden bislang verhindert werden.
Die Tierseuche werde Deutschland noch Monate oder gar Jahre bedrohen, sagte Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer am Donnerstag in Berlin. Eine Gefahr für Menschen schloss er aktuell aus. Für Annahmen, die Krankheit könnte zum Flächenbrand werden, "gibt es zu dieser Stunde keinen Grund", sagte der Minister. Die 16 000 Puten, Gänse und Hühner des sächsischen Mastbetriebes, wo das hochansteckende Virus H5N1 Puten befallen hatte, wurden geschlachtet. In der Sperrzone sollen vorsorglich weitere 14 000 Nutztiere gekeult werden. Zudem sollen sämtliche Produkte, für die Tiere des betroffenen Unternehmens in den vergangenen drei Wochen verarbeitet wurden, vernichtet werden.
Nach Worten von Staatssekretär Gert Lindemann soll der Weg des Fleisches - es handelt sich um mehrere Tonnen - exakt rückverfolgt werden, obwohl Fachleute erklärten, "dass davon eigentlich keine Gefahr für die Menschen ausgeht." Das Zeitmaß wurde damit begründet, dass die Inkubationszeit bis zu drei Wochen betrage. Ob das Fleisch zumindest teilweise in den Handel gelangte, wurde noch untersucht. Die EU erließ ein vierwöchiges Exportverbot für Geflügel und Geflügelprodukte aus der 13-Kilometer-Zone um den Hof.
"Wir haben einen Brandherd, aber keinen Flächenbrand", sagte der Chef des sächsischen Krisenstabs, Albrecht Hauser. Der Brandherd sei gelöscht. Seehofer betonte: "Wir sehen insgesamt keine Gefahr für die Bevölkerung."
Unklar blieb, wie das Virus H5N1 in den Mastbetrieb eingeschleppt wurde. Die Frage hatte selbst unter Experten Rätselraten verursacht, da es in Sachsen bislang keinen Vogelgrippe-Fall im Wildbestand gegeben hatte. Seehofer ging davon aus, dass Wildtiere verantwortlich seien. Er begründete dies damit, dass die verendeten Zuchtputen an dem so genannten Asia-Typ des Virus' starben, der auch bei allen Wildtierfällen in Deutschland nachgewiesen worden war. Ob ein am Mittwoch nahe der Anlage tot aufgefundener Schwan mit dem Erreger infiziert ist, wurde noch erforscht.
Seehofer sprach sich erneut gegen eine vorsorgliche Impfung aller Geflügelnutztiere aus. Das mache keinen Sinn, solange es keinen Impfstoff gebe, der gewährleiste, dass ein nicht erkranktes infiziertes Tier das Virus nicht weitergibt. Denn sonst seien Krankheitsfälle nicht erkennbar, sagte er.
Ob die bis 30. April geltende Stallpflicht verlängert wird, soll laut Seehofer kurz vor Ende des Termins unter Kenntnis der weiteren Entwicklung, der Ursache des Falls in Sachsen und des europäischen Vogelzuges entschieden werden. Der Minister lobte das Vorgehen Sachsens. Dort sei schnell, sachgerecht und umsichtig gehandelt worden. Entscheidend sei nun, eine Ausbreitung zu verhindern, was bisher gelungen sei.
Fast alle 60 Ausnahmegenehmigungen von der Stallpflicht in Sachsen sollen vorerst zurückgezogen werden. Ein Expertenteam begann vor Ort mit der Untersuchung des möglichen Übertragungsweges. Landestierärztin Gerlinde Schneider sagte: "Wir können uns bislang nicht erklären, warum die Puten infiziert wurden, nicht aber die Gänse." Die Gänse durften auf Grund einer Ausnahmegenehmigung täglich für mehrere Stunden ins Freie. Nach Behördenangaben hatten sie keinen Zugang zu den umliegenden Seen. Ob Mitarbeiter der Gänsezucht auch Zugang zu den Putenställen hatten und welche Schutzvorkehrungen getroffen wurden, wurde nicht bekannt.
In der Nacht zum Donnerstag waren schon rund 11 000 der insgesamt 16 330 Puten, Hühner und Gänse des geschädigten Betriebes gekeult werden. Die Kadaver, insgesamt rund 120 Tonnen, sollten in eine 60 Kilometer entfernte Tierkörperbeseitigungsanlage gebracht werden. Nach Behördenangaben wurden die Puten aus der Farm in einem Schlachtbetrieb im sächsischen Mutzschen verarbeitet. Dieser Betrieb wurde ebenfalls geschlossen.
Die Vorsitzende des Verbraucherausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn (Grüne), kritisierte das Krisenmanagement der Bundesregierung. "Wir brauchen endlich eine umfassende Impfstrategie", sagte sie der "Berliner Zeitung". Man könne das deutsche Geflügel nicht jahrelang einsperren und damit die Freilandhaltung kaputt machen.
Die Vogelgrippe erreichte inzwischen auch Großbritannien. Im Labortest wurde bei einem in Schottland entdeckten Schwan das auch für Menschen gefährliche H5N1-Virus nachgewiesen, wie die örtliche Umweltbehörde bestätigte. In Ägypten starb ein 16-jähriges Mädchen an der Vogelgrippe. Die Jugendliche ist das dritte Todesopfer in dem nordafrikanischen Land.

HANDELSBLATT, Donnerstag, 06. April 2006, 20:06 Uhr


zurück zur Vogelgrippe-Startseite