13,5 Millionen Hühner, ein Virus
Von Katharina Slodczyk
Für Vechta kann H5N1 kommen - wie sich der Landkreis mit der
höchsten Geflügeldichte mit Eigenkonstruktionen auf die
Vogelgrippe vorbereitet hat. Die Schweinepest hat die
Krisenmanager gestählt.
VECHTA. Eine solche Konstruktion war den Mitarbeitern beim Tüv
in Vechta noch nicht untergekommen: ein zwei Meter langer
Anhänger mit einem grauen Aufsatz, oben eine Art Einwurfschacht
mit einem Deckel, der luftdicht abschließt. "Erst hatten wir
schon Probleme, jemanden zu finden, der uns so was schnell
baut", erzählt Heinrich Lübbers, Auftraggeber des Unikats, "und
dann stellt sich der Tüv auch noch an." Das konnte Lübbers
wirklich nicht gebrauchen.
Die Tüv-Plakette hat das Gefährt dann doch bekommen. Mit der
Spezialkonstruktion wird das Veterinäramt am Tag X bei
Hobby-Geflügelhaltern vorfahren, wenn das Vogelgrippevirus H5N1
die Region erreicht hat. Der Hänger ist dann mit Kohlendioxid
gefüllt - Tiere, die dort hinein geworfen werden, sterben an
einer Lähmung der Atemorgane. "Kleinstanhänger für die
Hobbyhaltung", nennt Lübbers das Vehikel.
In "Chicken Country", wie der Landstrich zwischen Oldenburg und
Osnabrück mit seinen 13,5 Millionen Hühnern heißt, hat man Sinn
für Details. "Wir haben hier ja nicht nur große Höfe, sondern
müssen auch an die Hobbyhalter mit 10, 20 Hühnern denken", sagt
Lübbers, oberster Veterinär im Landkreis. Er überwacht die 450
Geflügelmastbetriebe in Vechta und Umgebung. Auf jeden Einwohner
kommen hier 100 Hühner - damit ist die Geflügeldichte so groß
wie nirgendwo sonst auf der Welt. Fast jeder dritte Beschäftigte
arbeitet hier in der Landwirtschaft, viele davon in der
Geflügelproduktion, in einer Schlachterei, in einem Betrieb, der
Hähnchen zu Chicken McNuggets macht, oder in einem anderen
Unternehmen, das zur Vermarktungskette rund ums Huhn gehört.
Kein Wunder, dass nirgendwo sonst in Deutschland die Angst vor
der Vogelgrippe so groß ist wie in dieser Region.
Seit Monaten hat sich der Landkreis auf das Virus vorbereitet.
Wird ein infiziertes Tier gefunden, tritt ein Krisenplan in
Kraft, der sechs eng beschriebene DIN-A4-Blätter füllt. Im
Umkreis von einem Kilometer um den Fundort werden alle Hühner
getötet. Im Radius von drei Kilometern darf kein Hähnchen, kein
Ei die Sperrzone verlassen. Weiße Schilder, auf denen in großen,
roten Lettern "Geflügelpest - Sperrbezirk" steht, liegen zu
Dutzenden in Metallregalen im Keller des Veterinäramtes bereit.
Die schon lange eingelagerten Desinfektionsschleusen werden dann
rausgeholt. Die neueste Schutzkleidung, die der Landkreis für
40 000 Euro gekauft hat, kommt zum Einsatz. Nach Bedarf werden
eine Schützenhalle, ein Sportler- oder Jugendheim zu einem
Stützpunkt für Helfer ausgebaut, die der Landkreis bei der
Freiwilligen Feuerwehr und dem Technischen Hilfswerk rekrutieren
kann. Hinzu kommen Mitarbeiter von außen - von Firmen, die
Kadaver beseitigen, Kohlendioxid liefern oder helfen, die Tiere
in eine elektronische Tötungsmaschine einzuhängen. "Vier Stück
haben wir davon, jede ist für die Keulung von 5 000 Hühnern pro
Stunde ausgelegt, parallel dazu können wir ganze Ställe mit
Kohlendioxid begasen und unseren Kleinstanhänger einsetzen",
sagt Lübbers, ein grauhaariger, schlaksiger Mann, der eher
hölzern wirkt, solange er über die Feinheiten des Tötens reden
muss.
Die gesamte Vorbereitung läuft vor allem auf eines hinaus: "Wir
müssen die Verschleppung der Seuche reduzieren, und zwar
schnell", erzählt Landrat Albert Focke. Dafür müssen seine Leute
die Hühner schneller töten, als sich das Virus ausbreitet. Schon
vor Monaten haben sie angefangen, für den Ernstfall zu üben. Sie
wissen genau, wie viel Kohlendioxid sie für einen Stall voller
Puten brauchen, wo alle Tiere am Boden stehen - sie müssen 15
Minuten warten, bis sich das Gas bis zu einer Höhe von einem
Meter ausbreitet. In einem Stall, wo die Käfige in Etagen
stehen, dauert es 45 Minuten, bis das Gas auch die Hühner ganz
oben erreicht. Und das Aufräumen kann erst nach einer weiteren
Stunde beginnen, wenn sich das Kohlendioxid verzogen hat.
Die großen Themen, die haben die Krisenmanager im Landkreis
Vechta inzwischen abgehakt. Jetzt sind es nur noch Details, die
sie klären: Dürfen wir trotz Schonzeit die Stockenten am Dümmer
See abschießen, um herauszufinden, ob sie das Virus mit sich
tragen? Ja, die Schonzeit wird aufgehoben. Wie können wir
sicherstellen, dass die Verwaltungsangestellten aus
verschiedenen Bereichen, die mit der Vogelgrippe zu tun haben
werden, effizient zusammenarbeiten? Sie werden auf einem Flur
zusammengesetzt. Deshalb räumen die Lebensmittelkontrolleure
ihre Büros beim Veterinäramt und machen Kollegen Platz, die sich
um die Entschädigungszahlungen für die Bauern kümmern.
Weder Focke noch Lübbers sprechen es aus, aber die Botschaft ist
klar: Wir sind besser vorbereitet, es kann nicht so viel schief
gehen wie auf Rügen, wo Anfang Februar mit der Vogelgrippe
infizierte Schwäne gefunden wurden. Der Virus hatte Deutschland
erreicht und traf auf einen unvorbereiteten Landkreis, von der
Seuche überrascht und mit dem Krisenmanagement überfordert.
So wie auf Rügen kann und darf es im Oldenburger Münsterland
nicht zugehen. Nirgendwo sonst in Deutschland konzentriert sich
die Geflügelindustrie so sehr wie in dieser Region, mittendrin
Vechta, ein gemütliches Städtchen mit rot verklinkerten
Häuschen, weiß getünchten Giebeln und altstädtisch gekrümmten
Gassen - alles putzig, sauber und aufgeräumt. Das Huhn, sagen
die Menschen hier, ist ihr Heilsbringer. Und H5N1 ist ihr
Albtraum. Sie fürchten Zwangsurlaub und Kurzarbeit,
Arbeitslosigkeit und Krise - eine Katastrophe für den
Landstrich, wo die größten Tierfabriken Deutschlands stehen, wo
Biobauern als sonderlich gelten und Ställe mit nur 1 000 Hühnern
als Kleinbetrieb.
Sprechen wollen die Menschen über all das lieber nicht. "Ach,
hören sie doch auf mit der Panikmache", erregt sich ein
Hühnerbauer am Rand von Vechta, angesprochen darauf, wie er denn
mit der Gefahr umgeht, die immer näher kommt. "Säubern, duschen,
desinfizieren, auf Hygiene achten, immerzu, das mach’ ich doch
schon seit Jahren", zählt er auf, und sein ohnehin rotes Gesicht
nimmt einen noch dunkleren Ton an. "Und Fremde vom Hof halten,
das kommt jetzt hinzu", schreit der Mann hinaus, bevor er die
Haustür zuknallt.
Ein Rentner, der sich mittags ein Hähnchenschnitzel mit Pommes
für 3,30 Euro im Imbiss Meyer in der Innenstadt von Vechta
bestellt, drückt es diplomatischer aus. "Da ist so viel zu dem
Thema gesagt worden. Das reicht", sagt der Mann und schiebt sich
den nächsten Bissen in den Mund. Selbst der Landrat, eigentlich
ein gesprächiger Mann, wird wortkarg. "Manchmal ist es besser zu
schweigen."
Dann erzählt er aber doch - in kurzen, knappen Sätzen, mit
sparsamen Bewegungen von seiner Zeit als Kreisdirektor vor mehr
als zehn Jahren, als die Schweinepest in Vechta und Umgebung
wütete, als allein im Winter 1993/94 mehr als eine halbe Million
Schweine in Niedersachsen getötet werden musste. Später gab es
in der Region einen Verdachtsfall auf Maul- und Klauenseuche, da
war Focke Oberkreisdirektor. Vor drei Jahren - Focke war Landrat
geworden - kam die Geflügelpest nach Deutschland. Der Landkreis
Vechta blieb verschont. Focke, eigentlich Jurist, wurde mit der
Zeit zum Seuchenexperten und Krisenmanager. "Wir haben aus
Fehlern gelernt und die Seuchenbekämpfung verfeinert."
Einer der Fehler bei der Schweinepest: Die Tötungskommandos
setzen ihre Stromzangen zunächst an die Schädel der Schweine,
bei denen die Krankheit ausgebrochen war, bei Tieren, die schon
blaue Ohren, Fieber und Durchfall hatten.
"Dadurch liefen wir der Seuche immer hinterher", erzählt Focke,
"denn das Virus hatte sich weiterverbreitet." Nach ein paar
Wochen änderten sie ihre Methode. "Wir haben so eine Art Gürtel
um die sichtbar kranken Schweine gebildet und zunächst die Tiere
am äußeren Rand getötet und uns so von außen nach innen
vorgearbeitet", beschreibt Lübbers, damals stellvertretender
Leiter des Veterinäramtes. So bekamen sie die Pest nach und nach
in Griff.
Bis heute bewahrt Lübbers im Keller des Veterinäramtes die
Hilfsmittel auf, mit denen er und seine Kollegen damals täglich
arbeiteten und Ordnung in das Chaos brachten: große Landkarten
der Region, auf denen jeder Schweinemastbetrieb mit der Anzahl
der Tiere notiert war. Leicht verstaubt, aber ordentlich hinter
Glas und mit hellem Holz gerahmt, lehnen sie heute an einer weiß
getünchten Kellerwand im Raum U 39. Ein Spanplattentisch
verstellt den Blick auf die Region, wo alles anfing. Dümmer See,
Rüschendorf "Zuerst hatten wir die Schweinepest im Süden, dann
im Norden", erzählt Lübbers, während er energisch den Tisch
wegschiebt, um mit seiner Hand die Entwicklung der Seuche auf
der Karte nachzuzeichnen. Seine Finger hinterlassen Spuren auf
dem schmierigen Glas.
Lange Zeit hat sich keiner mehr für die Landkarten interessiert.
Entsorgen möchte Lübbers sie aber noch nicht. Viel Arbeit steckt
darin, viele Erinnerungen an eine turbulente Zeit, als Landwirte
mit ihren Traktoren die Autobahnen sperrten, Strohballen auf
Feldern anzündeten, weil sie protestierten - dagegen, dass auch
gesunde Tiere getötet wurden. Lange Zeit ein Tabu in dieser
Gegend, wo die Menschen sehr konservativ, sehr katholisch sind.
"Die haben bürgerlichen Widerstand geleistet", umschreibt Focke.
Das wird heute wohl nicht mehr passieren. Und auch die Daten
über die Geflügelbetriebe müssen sich Lübbers’ Mitarbeiter heute
nicht mehr mühsam zusammensuchen und mit unterschiedlichen
Farben auf einer Landkarte eintragen. Alle Informationen sind im
Computer gespeichert. Kleine, rote Punkte symbolisieren
Hühnerställe, Geflügelunternehmen heißen sie in dieser Region,
die Höfe der Bauern, die im Durchschnitt 150 000 Hühner halten.
Mit wenigen Mausklicks können Lübbers und seine Leute jetzt
simulieren, was im Krisenfall zu tun ist. Ein schwarzer Punkt
markiert den Fundort eines infizierten Tieres, eine schmale
Linie den Sperrbezirk. Innerhalb von Sekunden können sich die
Mitarbeiter des Veterinäramtes einen genauen Überblick über den
Hühnerbestand in dem markierten Gebiet machen, Adressen und
Telefonnummern der Betriebe aufrufen - so soll es zumindest
funktionieren. Bei der Vorführung hakt das Programm allerdings.
Lübbers lässt sich davon nicht beunruhigen: "Der typische
Vorführeffekt, aber kein Grund zur Sorge."
HANDELSBLATT, Donnerstag, 10. März 2006, 21:55 Uhr