Der Tag X für Genießer
Von Holger Alich und Barbara Gillmann
Frankreich übt den Vogelgrippe-Notfall - mit Foie-Gras-Kanapees.
Krisenpläne gibt es bereits seit Ende 2004, nun wollen die
Behörden zeigen, dass die Konzepte nicht nur auf dem Papier
stehen. Deutschland lässt sich mehr Zeit: Hierzulande wird noch
an Plänen gearbeitet.
Es ist 8.45 Uhr. Flug RF 2402 aus Südostasien mit Ziel
Lyon meldet ein Problem. Zwei Passagiere haben hohes Fieber
und Atemprobleme. Sofort schaltet sich der Flughafenarzt ein:
"Könnten die beiden in Kontakt mit Vögeln gewesen sein, die die
Vogelgrippe haben?"
Aus dem Funkgerät knarzt der Pilot zurück: "Positiv, der Mann
ist Tierarzt und war in Asien bei einer Impfaktion für Geflügel
dabei, die Frau ist Tierhändlerin." Der Flughafenarzt löst Alarm
aus: Die beiden Passagiere bekommen Atemschutzmasken verpasst
und werden von den übrigen Fluggästen isoliert.
Diese Szene flimmert über eine Leinwand im Terminal zehn des
Lyoner Flughafens. Auf goldfarben lackierten Stühlen mit roten
Velourpolstern verfolgen mehr als 100 Journalisten das
Schauspiel. In der ersten Reihe: Premierminister Dominique de
Villepin und die halbe Regierung.
Als der Film vorbei ist, folgt die Live-Darbietung: Ein Airbus
kommt herangerollt. Die beiden Passagiere, die sich vermutlich
mit dem Vogelgrippe-Virus infiziert haben, steigen aus dem
Flugzeug in einen wartenden Notarztwagen und fahren davon.
De Villepin nickt zufrieden. Die Übung, Teil der so genannten
"ersten regionalen Simulation des Vorsorgeplans für das Risiko
einer Grippepandemie", hat geklappt. Alle nationalen TV-Sender
haben das Geschehen gefilmt. Sogar das japanische Fernsehen war
dabei. Die Botschaft solcher Bilder liegt auf der Hand: Macht
euch keine Sorgen. Die Regierung ist im Kampf gegen die
Vogelgrippe auf alles vorbereitet.
Damit hat Frankreich schon früh angefangen: Im Oktober 2004
erarbeiteten die Behörden einen nationalen Notfallplan, der sich
mit verschiedenen Krisenszenarien befasst. "Wir wollen mit der
Übung zeigen, dass dieser Plan nicht nur auf dem Papier steht",
sagt Francis Delon, Generalsekretär für Landesverteidigung.
Ob die Probe für den Ernstfall, die schon fast zu perfekt, zu
glatt über die Bühne ging, die Menschen wirklich beruhigt?
Spätestens am Samstag sorgte diese Nachricht erneut für
Unsicherheit: Das Vogelgrippevirus hat in einem französischen
Geflügelzuchtbetrieb zugeschlagen - es ist der erste Fall dieser
Art in Europa. Der Hof mit 11 000 Truthähnen wurde abgeriegelt,
die Tiere getötet. Dies ist ein weiterer Schlag für Frankreichs
Geflügelzüchter. Schon zuvor waren ihre Umsätze deutlich
eingebrochen. Und ausgerechnet am vergangenen Wochenende begann
die große Landwirtschaftsmesse in Paris, bei der aus
Sicherheitsgründen Geflügelzüchter ausgeschlossen wurden. Einer
der ersten Messebesucher war Staatspräsident Jacques Chirac. Er
mahnte zur Ruhe: "Es entwickelt sich eine ungerechtfertigte
Panik. Ich fordere alle Medien auf zu betonen, dass keine Gefahr
besteht."
Wenn sich das ändert, sind nicht nur die französischen
Flughäfen, sondern auch die Krankenhäuser vorbereitet - dies
sollte die Notfallübung vor laufenden Kameras am vergangenen
Freitag ebenfalls deutlich machen: De Villepin überzeugte sich
davon im Krankenhaus Croix-Rousse in Lyon. Auf dem Gelände wurde
eigens für den hohen Besuch ein Großzelt aufgestellt - mit
TV-Monitoren auf der Stirnseite. So konnten Politiker und
Journalisten das weitere Schicksal der vermutlich mit
Vogelgrippe Infizierten verfolgen, die vom Flughafen direkt in
das Krankenhaus gefahren wurden.
In der Abteilung für Infektionskrankheiten entnehmen vermummte
Ärzte den Patienten Schleimproben aus Mund und Nase. "Bitte den
Mund aufmachen", murmelt der behandelnde Arzt durch seinen
Mundschutz. Nach der TV-Übertragung folgt eine
Powerpoint-Präsentation des Leiters der Abteilung, Dominique
Peyramond. "Die Zusammenarbeit mit den Institutionen, die sich
auf europäischer Ebene mit der Vogelgrippe beschäftigen,
funktioniert problemlos", referiert er. Er hat aber Mühe, die
Lärmkulisse zu übertönen, denn die Zuhörer haben sich auf das
vorbereitete Buffet gestürzt, unter anderem auf die
Foie-Gras-Kanapees. Sie hören sich das Referat kauend an,
ohnehin sind Fragen nicht zugelassen.
In Deutschland gab es bislang keine speziellen
Vogelgrippe-Katastrophenübungen. Im Gegensatz zu Frankreich ist
dies in der Bundesrepublik Ländersache. Nach den
Vogelgrippevorfällen haben die Gesundheitsminister der Länder
jetzt beschlossen, eine gemeinsame Katastrophenübung mit dem
Bund anzugehen. Ein Zeitpunkt steht noch nicht fest, unklar ist
auch, was genau geübt werden soll. Das werde im März besprochen,
sagte der Sprecher des sachsen-anhaltischen Gesundheitsministers
Gerry Kley, der derzeit der Gesundheitsministerkonferenz
vorsitzt.
Auf Bundesebene gibt es seit Sommer 2005 den "nationalen
Pandemieplan", den die Weltgesundheitsbehörde fordert. Er baut
allerdings darauf, dass die Länder ebenfalls Pandemiepläne
aufstellen. Als einziges Bundesland hat Mecklenburg-Vorpommern
dies bereits im Oktober 2005 erledigt. In den anderen Ländern
soll es Ende März soweit sein.
Bei der Notfallübung der Franzosen geht es zur letzten Station:
Regierungschef de Villepin und die Journalisten besuchen die
Impfstoffproduktion von Sanofi-Pasteur. De Villepin zieht die
Bilanz der ersten Großübung in Sachen Vogelgrippe. "Wir konnten
sehen, dass die Abläufe funktionieren", sagt er. "Wir müssen uns
keine Sorgen machen, aber wir müssen uns vorbereiten." Am Ende
der Übung wartet auf die Journalisten das nächste Buffet - mit
Geflügelfleisch.
HANDELSBLATT, Montag, 27. Februar 2006, 21:26 Uhr