Nur das deutsche Huhn muss bangen
Die Vogelgrippe befällt immer mehr Wildvögel in Deutschland.
Damit steigt die Angst, dass das Virus zuerst auf Haustiere und
dann auf den Menschen überspringt. Doch Experten geben einmütig
Entwarnung. Für den, der sich näher mit der Thematik befasst,
verliert das berüchtigte H5N1 gar seinen Schrecken.
"Die Lage hat sich nur für das deutsche Huhn
geändert", sagt der Leiter des Institutes für Virologie der
Universitätsklinik Köln, Herbert Pfister. Seit die Vogelgrippe
mit Zugvögeln in Deutschland lande, sei die Gefahr hoch, dass
sich auch Haustiere infizierten. Für Menschen habe sich im
Grunde nichts geändert. Auch Thomas Mettenleitner, der Leiter
des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Ostseeinsel Riems, wird
nicht müde zu betonen, dass die Vogelgrippe nur eine Tierseuche
ist. Das Institut hat durch die Analyse der verendeten Rügener
Wildvögel inzwischen Berühmtheit erlangt.
"Das Virus wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
in Deutschland nicht in einen Menschen gehen", sagt der Direktor
des Instituts für Medizinische Mikrobiologie der Universität
Münster, Georg Peters. Den Sprung in den Menschen könne der
Erreger derzeit nur bei sehr engem Kontakt zu infizierten Tieren
in den Menschen schaffen. "Dazu müssen sie wirklich mit dem
Vogel zu Bett gehen", verdeutlicht Pfister.
Auch die Gefahr einer weltweiten Grippewelle bei Menschen sei
mit dem Auftreten des Vogelvirus in Deutschland nicht gestiegen,
sagte er. Vor diesem Szenario warnt die
Weltgesundheitsorganisation seit Jahren. Denn in der
Vergangenheit hatte sich das Grippevirus in regelmäßigen
Abständen zu solchen Zügen um die Welt aufgemacht.
Um die Menschheit vor den möglichen verheerenden Folgen zu
schützen, beobachten Wissenschaftler auf der ganzen Welt den
Erreger mit Argusaugen. Sie wollen herausbekommen, welches Virus
genau sich anschicken könnte, in den Menschen zu springen und
wann es mit Mutationen das dafür nötige Rüstzeug erhält. Der
wahrscheinlichste Kandidat: H5N1, jener Virustyp, der über
Zugvögel inzwischen auch Deutschland erreicht hat.
H5N1 grassiere in Asien, sei dort schon durch Millionen Vögel
gewandert und habe sich immer wieder geteilt, sagt Virologe
Pfister. "Bei jeder Teilung mutiert das Virus." Dabei verändert
es sich. "Inzwischen hat es die Hälfte aller Mutationen, die es
für den Menschen gefährlich machen könnte", sagt Pfister.
Allerdings seien die Merkmale jeweils in verschiedenen
Virus-Isolaten gefunden worden. Nicht ein Erreger hat sie alle.
Doch es gibt auch Argumente, die gegen H5N1 sprechen: "Ein so
hoch aggressives Virus nimmt sich ja selbst seine Opfer", sagt
Pfister. Oft verschwänden derartige Erreger wieder von der
Bildfläche. Zudem sei H5N1 seit 1997 immer mal wieder im
Menschen gewesen, sagte der Leiter des Institutes für Molekulare
Virologie der Universität Münster, Stephan Ludwig. "Es hat
wahrscheinlich schon alle erdenklichen Mutationen hinter sich."
Dass es dem Erreger so lange Zeit nicht gelungen sei, den Sprung
zu schaffen, spreche eher gegen ihn.
"Das nächste Pandemie-Virus könnte auch H7N7 sein", gibt Pfister
zu bedenken. Dieser Virustyp hatte die Vogelgrippe 2003 bei
Geflügel in den Niederlanden ausgelöst; auch ein Tierarzt starb.
"Die Wahrscheinlichkeit dafür aber ist im Moment sehr gering."
Momentan sei H7N7 von der Bildfläche verschwunden. "Aber das
kann in ein paar Jahren wieder anders aussehen."
Eines sei jedoch klar: "Wenn ein Pandemie-Virus auftauchen
sollte, wird es wahrscheinlich nicht in Deutschland passieren",
sagte Pfister. Der Sprung werde dem Erreger sicher in Asien
gelingen, wo Vögel und Menschen viel dichter zusammen lebten.
"Aber es kann auch sein, dass in den nächsten fünf Jahren gar
nichts passiert", betonte Pfister. Schließlich gründeten sich
alle Vermutungen zum Großteil auf Wahrscheinlichkeiten. "Das ist
alles Statistik." Mit diesem Satz verdeutlicht er das Dilemma
heutiger Seuchenforschung: Dank moderner molekularbiologischer
Verfahren können Wissenschaftler dem Virus bei seinen
Verwandlungen zwar unter die Hülle schauen. Was ihre
Beobachtungen jedoch bedeuten, bleibt zumindest teilweise
Spekulation.
HANDELSBLATT, Sonntag, 26. Februar 2006, 15:04 Uhr