Vogelgrippe erstmals auf einer Geflügelfarm
In der Europäischen Union (EU) hat der gefährliche
Vogelgrippe-Erreger nun erstmals Tieren auf einer Geflügelfarm
infiziert. Wie die Behörden in Frankreich in der Nacht zum
Samstag mitteilten, wurde die auch für den Menschen gefährliche
Virusvariante H5N1 bei Truthähnen auf einem Geflügelhof im
Departement Ain im Osten des Landes nachgewiesen.
In derselben Region waren bereits zuvor zwei Wildenten
mit H5N1 entdeckt worden. Auch in Deutschland breitete sich das
Virus aus und wurde inzwischen auch in Brandenburg nachgewiesen.
Die EU kündigte angesichts der Entwicklung eine
Informationskampagne für die Bevölkerung an. EU-Handelskommissar
Peter Mandelson warnte insbesondere die Handelspartner der
Gemeinschaft vor übertriebener Panik.
Auf der Truthahnfarm im Departement sollen bereits rund 80
Prozent der insgesamt 11 000 Tiere verendet sein. Die übrigen
Truthähne seien geschlachtet worden. Labor-Tests ergaben dem
Landwirtschaftsministerium zufolge, dass das dort gefundene
Virus zu 99 Prozent identisch mit dem zuvor bei Wildvögeln in
Ain gefundenen Erreger war. Nun sollen Untersuchungen klären,
wie das Virus auf die Farm gelangen konnte. Der Betrieb liegt
innerhalb der nach dem Fund der infizierten Wildvögel
errichteten Schutzzone.
Die Nachrichten über den Ausbruch der Vogelgrippe in einem
Mastbetrieb könnten der französischen Geflügelwirtschaft weiter
schaden. Sie ist mit einem jährlichen Geschäftsvolumen von sechs
Milliarden Euro die größte in der EU. Schon jetzt sind die
Verkaufszahlen von Geflügel in Frankreich um 30 Prozent
eingebrochen. Präsident Jacques Chirac rief seine Landsleute
daher am Samstag zur Ruhe auf. Der Verzehr von gekochtem
Geflügelfleisch und Eiern sei weiterhin ungefährlich, sagte er
nach einem Treffen mit Landwirten und Tierärzten in Paris.
"Leider entwickelt sich eine vollständig unangebrachte Art von
Panik." Ministerpräsident Dominique de Villepin kündigte ein
Hilfspaket im Wert von 52 Millionen Euro an, das der
Geflügelwirtschaft des Landes helfen soll.
Auch die EU-Gesundheitsminister hatten am Freitag bei einer
Sondersitzung in Wien betont, derzeit bestehe für den Menschen
nur ein geringes Ansteckungsrisiko. Dies stehe im Widerspruch
zum subjektiven Bedrohungsempfinden in der Bevölkerung, sagte
die österreichische Ressortchefin Maria Rauch-Kallat. Wichtig
sei daher eine EU-weit abgestimmte Informationspolitik.
Besonders betroffene Bevölkerungsgruppen sollten genau über das
richtige Verhalten informiert werden.
Japan hat den Import von französischem Geflügel bereits
gestoppt. Dem niederländischen Landwirtschaftsministerium
zufolge will die Regierung in Tokio auch Geflügelimporte aus den
Niederlanden einstellen, sollten die Nutztiere dort wie geplant
vorsorglich geimpft werden. Die Niederlande sind nach Frankreich
der zweitgrößte Geflügelproduzent in der EU. EU-Handelskommissar
Mandelson kommentierte das Verhalten Japans in Paris mit den
Worten: "Zwar verstehe ich ihre Entscheidung, Vorsichtsmaßnahmen
einzuleiten. Allerdings müssen diese Schritte auch angemessen
sein." Wenn die Handelspartner der EU-Staaten jetzt in
übertriebene Panik verfielen, wäre das äußerst schädlich.
In Deutschland ist der Vogelgrippe-Erreger mittlerweile in rund
120 toten Wildvögeln nachgewiesen worden. Nach
Mecklenburg-Vorpommern sind nunmehr auch Schleswig-Holstein und
Baden-Württemberg betroffen. Am Samstag wurde H5N1 zudem bei
Tieren in der Nähe von Schwedt an der brandenburgischen Grenze
zu Polen nachgewiesen. Erste Fälle von Vogelgrippe gibt es
inzwischen auch in der Slowakei. Die Behörden in Kroatien
teilten am Samstag mit, nahe der Adria-Küstenstadt Trogir sei
ein weiterer toter Schwan positiv auf das H5-Virus getestet
worden.
Das Virus hatte sich in den letzten Wochen von Asien aus in
Richtung Westen und Afrika ausgebreitet. Seit Ende 2003 sind
rund 170 Infektionen beim Menschen bekannt geworden, mehr als 90
Patienten starben daran. Allerdings ist das Virus bislang nur
von Tier zu Tier beziehungsweise vom Tier zum Menschen
übertragbar. Experten befürchten indes, dass sich der
gefährliche Erreger H5N1 so verändern könnte, dass er sich auch
von Mensch zu Mensch überträgt. Dann könnte eine weltweite
Epidemie mit Millionen Toten die Folge sein.
HANDELSBLATT, Samstag, 25. Februar 2006, 15:37 Uhr