Erster Verdachtsfall: Vogelgrippe könnte Hühner befallen haben
Auf der Insel Rügen hat das Vogelgrippe-Virus möglicherweise
Tiere in einem Geflügelbestand infiziert. Es wäre der erste
derartige Fall in Deutschland. Doch herrscht Verwirrung darüber,
welches Geflügel betroffen ist. Minister und Krisenstab
widersprechen sich.
Es gebe einen Verdachtsfall in einem Bestand von
etwa 50 Hühnern, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister
Till Backhaus (SPD) am Donnerstag. Die Tiere seien wegen des
Verdachts bereits alle getötet worden. Die eindeutige
Bestätigung durch einen Test des Friedrich-Loeffler-Instituts
stehe noch aus. Der betroffene Geflügelhalter habe richtig
reagiert, sagte Backhaus. Unmittelbar nach Aufkommen des
Verdachts habe er die Behörden informiert.
Eine Sprecherin des Vogelgrippe-Krisenstabs widersprach dem
Minister jedoch am Donnerstag in Schwerin in einigen Punkten.
Sie redete von einer eventuell infizierten Ende in einem kleinen
Geflügelbetrieb mit 106 Tieren. Hier habe ein Schnelltest
angeschlagen. Bisher seien die Tiere in dem Betrieb gesund
gewesen. Es handele sich nicht um einen Geflügelbestand, der
vorsorglich habe getötet werden sollen. Mit endgültigen
Laborergebnissen sei am Nachmittag zu rechnen.
Minister Backhaus hatte am Mittwoch noch betont, das Risiko
einer Einschleppung des Virus H5N1 in Nutztierbestände sei
weiter hoch. "Die Lage bleibt ernst, aber wir haben sie jetzt im
Griff." Auf Rügen gibt es nach Angaben von Backhaus derzeit rund
690 zusätzliche Helfer. Weitere 500 Bundeswehrsoldaten stünden
auf Abruf. Bis Mittwoch war der Erreger H5N1 in
Mecklenburg-Vorpommern ausschließlich bei Wildvögeln
festgestellt worden. Die Zahl der sicher an Vogelgrippe
gestorbenen Tiere erhöhte sich von 101 auf 107, wie eine
Sprecherin des Landkreises am Donnerstag in Bergen mitteilte.
Der Minister sprach sich zugleich für Notimpfungen der
Geflügelbestände innerhalb der Drei-Kilometer-Schutzzonen um die
Fundorte infizierter Wildvögel aus. "Wir brauchen eine klare,
nach vorn gerichtete Strategie, um vor allem auch Bestände
besonders wertvoller Rassen schützen zu können", erklärte
Backhaus. Bei seinem Treffen am Vormittag mit Bundesminister
Horst Seehofer (CSU) und dem Riemser Institutsleiter Thomas
Mettenleiter wolle er besonders auch das Thema Impfungen
erörtern.
Auch Seehofer hält eine Ausbreitung der Vogelgrippe für
wahrscheinlich. "Wir befinden uns mittlerweile in einem Wettlauf
mit der Zeit", sagte er am Mittwoch in Berlin. Eine Impfung zum
Schutz des Geflügels in Deutschland lehnte er vorerst jedoch ab.
"Das Impfen hilft uns im aktuellen Geschehen überhaupt nicht."
Tierseuchenexperten der EU hatten in Frankreich und den
Niederlanden Impfprogramme unter Auflagen gebilligt.
Nach Angaben Seehofers haben Beobachtungen von Rügen vom
Hubschrauber aus ergeben, dass es noch sehr viele erkrankte
Tiere auf Rügen gebe. Zudem habe der Vogelzug begonnen und
bringe Ende Februar zusätzliches Risiko. "Man muss damit
rechnen, dass sich die Lage auch geographisch ausweitet." Er
kündigte einen weiteren Besuch in Mecklenburg-Vorpommern für
Donnerstag an.
Aus einem Tierheim im österreichischen Graz wurde die erste
H5N1-Infektion bei Hausgeflügel in der EU bekannt. Bei den
Grazer Tieren handelt sich nach Darstellung der Behörden jedoch
um einen Sonderfall, da es keine Übertragung durch Wildvögel auf
einen Geflügelhof war. Die betroffenen zwei Hühner und drei
Enten hatten sich bei einem Schwan angesteckt, den Spaziergänger
krank im Tierheim abgegeben hatten, und der später an dem Virus
verendet war. Sämtliche Vögel im Tierheim wurden getötet, bei
keinem weiteren wurde das Virus nachgewiesen.
Die genehmigten Impfprogramme in Frankreich und den Niederlanden
sind auf bestimmte Geflügelbestände beschränkt und scharfen
Auflagen unterworfen. Dabei müssen die Länder sicherstellen,
dass geimpfte Tiere von nicht geimpften klar räumlich getrennt
werden. Vor den Impfungen müssen die Bestände genau auf mögliche
Vogelgrippe-Erreger getestet werden. Einmal geimpft, unterliegen
die Tiere strengen Transportbeschränkungen. Ihr Fleisch darf
aber weiterhin in die anderen EU-Staaten exportiert werden.
Vertreter von Deutschland und drei weiteren EU-Ländern hatten
bei der Abstimmung in Brüssel nicht teilgenommen.
Die Welternährungsorganisation (FAO) in Rom empfahl unterdessen
Geflügelimpfungen auch für Nigeria, wo sich das Virus rasant
ausbreitet. Es drohe eine regionale Katastrophe, warnte die FAO
in Rom. Der nigerianische Geflügelbestand wird auf 140 Mill.
Tiere geschätzt.
Der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Eckhard
Uhlenberg (CDU) sprach sich im Deutschlandfunk dafür aus, das
Impfverbot gegen Vogelgrippe für Nutztierbestände auch in
Deutschland zu lockern. Backhaus will ebenfalls erneut die Frage
vorsorglicher Tierimpfungen gegen die Vogelgrippe aufwerfen.
"Wir müssen in Deutschland die Frage der Impfung von Geflügel
ausführlich erörtern." Der Deutsche Bauernverband sorgte sich um
Konsequenzen für den deutschen Außenhandel von
Geflügelprodukten.
Geimpfte Tiere können sich nach Auskunft des
Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit weiter anstecken
und das Virus unter Umständen auch unbemerkt verbreiten, ohne
selbst zu erkranken. Auch China hat nach Darstellung von
Experten die Vogelgrippe durch Impfungen nicht in den Griff
bekommen.
HANDELSBLATT, Donnerstag, 23. Februar 2006, 10:04 Uhr