Handel fürchtet deutliche Verluste
Der Lebensmittelhandel stellt sich nach dem Ausbruch der
Vogelgrippe in Deutschland auf deutliche Umsatzrückgänge beim
Verkauf von Geflügelprodukten ein. Auch die Geflügelhalter sind
alarmiert. Betriebe erhalten Schadenersatz für Massentötungen.
"Wir rechnen mit herben Verlusten, sollte sich die
Krankheit auf Zuchtbetriebe ausweiten", sagt Gerd Härig,
Geschäftsführer des Bundesverbands des Deutschen
Lebensmittelhandels (BVL), im Gespräch mit dem Handelsblatt. In
einem solchen Fall könnte sich der Markt ähnlich entwickeln wie
vor einigen Jahren nach dem Ausbruch der Rinderseuche BSE.
Damals war der Verkauf von Rindfleisch um 30 bis 40 Prozent
eingebrochen.
Bereits im vierten Quartal 2005 sei der Gefügelfleischverkauf um
zehn bis 20 Prozent gesunken, berichtet Härig. Die Ursache für
den Rückgang sei allerdings nicht die Vogelgrippe gewesen,
sondern die Debatte um überlagertes "Gammelfleisch". Darüber
hinaus gebe es akutell keine weiteren sichtbaren Rückgänge beim
Verkauf von Geflügel.
Ein Sprecher der Metro gab zu bedenken, dass bislang weltweit
noch kein Ansteckungsfall über den Verzehr infizierter
Lebensmittel bekannt geworden sei. Unklar ist im Handel derzeit
aber, ob das Minus bei den Geflügelfleischverkäufen durch
Zusatzkäufe von Rind- und Schweinefleisch ausgeglichen werden
können.
Auch die Geflügelhalter sorgen sich um ihre Bestände. Vor allem
die rund 22 000 niedersächsischen Geflügelhalter verfolgen die
schnelle Verbreitung der Vogelgrippe im benachbarten
Mecklenburg-Vorpommern mit Unbehagen. Die Branche sei
"alarmiert", sagte ein Sprecher des Landesbauernverbands in
Hannover. So würden zusätzlich zur breit akzeptierten Einhaltung
der seit Freitag geltenden Stallpflicht in den Betrieben
umfangreiche Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt. Auch werde
streng darauf geachtet, dass Fremde keinen Zutritt zu den
Hofanlagen hätten.
Die wirtschaftlichen Folgen im Falle eines Übergreifens der
Vogelgrippe auf die Zuchtbetriebe nannte der Sprecher "fatal".
Der Umsatz der Geflügelbranche liege in Niedersachsen bei rund
800 Millionen Euro im Jahr. Dies seien etwa zehn Prozent des
Gesamtumsatzes der Landwirtschaft in dem Bundesland.
Insgesamt werden in Niedersachsen den Angaben zufolge 75
Millionen Geflügeltiere gehalten, darunter 25 Millionen
Legehennen und 35 Millionen Masthähnchen. Damit liegt das Land
bei der Geflügelhaltung bundesweit an der Spitze.
Bei Massentötungen von Tieren in landwirtschaftlichen Betrieben
wegen einer Tierseuche springen in Deutschland die Seuchenkassen
der Länder für den Schaden ein. Betriebe wie etwa auf Rügen, wo
die Behörden am Wochenende wegen der Vogelgrippe bei zahlreichen
Wildvögeln vorsorglich die Tötung der Zuchttiere angeordnet
hatten, erhalten so wenigstens den unmittelbaren materiellen
Schaden ersetzt.
Die staatlichen Tierseuchenkassen gibt es in ähnlicher Form in
jedem Bundesland. Nach Angaben des Geschäftsführers der
Bayerischen Tierseuchenkasse, Franz Josef Pauels, zahlen
landwirtschaftliche Betriebe in Bayern pro Tier im Bestand einen
jährlichen Beitrag in die Kasse, aus der Leistungen beglichen
werden. Bei Geflügel sieht die Satzung beispielsweise einen
Beitrag von 2,5 Cent je Huhn oder Hahn oder von 11 Cent je
Truthuhn vor. Zusätzlich übernimmt die Kasse die Kosten, die
durch die angeordnete Tötung eines Tierbestandes entstehen. Die
Hälfte der Gesamtleistungen bekommt die Kasse anschließend vom
jeweiligen Bundesland erstattet.
Landwirte erlitten also zunächst keinen unmittelbaren
finanziellen Schaden dadurch, falls ihr Tierbestand wegen einer
Seuche getötet werden muss, sagte Pauels weiter. "Für
Folgeschäden, etwa wenn der Stall dann eine Weile leer bleibt,
kommt die Kasse aber nicht auf", sagte er. So sei denkbar, dass
ein Landwirt seinen Bestand nicht gleich wieder auffülle, falls
eine Seuche wie etwa die Vogelgrippe weiter im Umfeld grassiere.
Die Zahlungen an die Landwirte orientierten sich an dem
materiellen Wert der Tiere, der genau errechnet werde. Die
Versicherungswirtschaft ist bei finanziellen Schäden durch die
Tötung eines Tierbestandes zunächst außen vor. Der deutsche
Branchenprimus Allianz erklärte, die privatwirtschaftlichen
Versicherungen kämen hauptsächlich für Schäden aus
Betriebsunterbrechungen in Betracht. So sei theoretisch denkbar,
dass bei größeren Tierseuchen nicht nur landwirtschaftliche
Betriebe betroffen seien, sondern auch Lebensmittelherstellung
und -handel beeinträchtigt würden. Auch könnten die Behörden
Veranstaltungen untersagen - wie teilweise bei Geflügelschauen
schon geschehen. Eine Sprecherin des Versicherers sagte, es sei
aber nicht abschätzbar, in welchem Umfang die Assekuranzen im
Fall einer großflächigen Verbreitung der Vogelgrippe einspringen
müssten.
HANDELSBLATT, Montag, 20. Februar 2006, 15:44 Uhr