Bürger fürchten jede tote Taube
Noch heute warnte Agrarminister Horst Seehofer vor Panik, doch
die Menschen sind von Flensburg bis Müchen sensibilisiert. Die
Vogelgrippen-Hotlines der Landesregierungen sind dauerbesetzt,
besorgte Bürger sehen nach dem H5N1-Nachweis auf Rügen in jeder
toten Taube einen gefährlichen Virenträger.
Unterstützt von Bundesgesundheitsministerin Ulla
Schmidt (SPD) appellierte Seehofer an die Bevölkerung, zwar
verendete Vögel den Behörden zu melden, sich selbst und Kinder
aber von den Tieren fern zu halten. "Wenn Ihr tote Vögel findet,
bleibt davon weg und informiert die Behörden", rät Schmidt. Zu
Panik bestehe jedoch kein Anlass.
Trotzdem: Unter den Deutschen wächst die Besorgnis. Die Bürger
registrieren jede tote Taube. Das bayerische
Gesundheitsministerium mahnt nun, nicht jeden Kadaver bei der
Polizei zu melden oder gar selbst hin zu bringen. Ein toter
Singvogel im Park sei "alltäglich und kein Alarmsignal", sagt
Ministeriumssprecher Roland Eichhorn. Nur ungewöhnliche
Beobachtungen, zum Beispiel fünf tote Wasservögel an einer
Stelle, sollten gemeldet werden.
Auch die Hotline im Landwirtschaftsministerium von
Nordrhein-Westfalen klingelt es permanent, wie Sprecherin Sabine
Raddatz berichtet. "Die Leute sind nicht direkt panisch, aber
sie haben halt Fragen", sagt sie. Zu den Fragestellern zählten
Taubenzüchter, Entenhalter, aber auch Menschen, die wissen
wollten, ob sie noch ein Vogelhäuschen im Garten aufstellen
dürften. Die Antwort auf die letztere Frage laute: Ja. Singvögel
und Tauben könnten an dem Virus nicht erkranken.
In Hamburg berichtet der Tierschutzverein, dass die Ställe für
Geflügel im Tierheim überfüllt seien. In den letzten Tagen
hätten Halter mehrfach Hühner oder Gänse abgeben wollen, weil
sie keine Ställe für die Tiere haben. Tierheim-Direktor Wolfgang
Poggendorf lehnte jedoch ab und riet dazu, mit einigen
Kanthölzern und Plastikplanen aus dem Baumarkt Notställe zu
bauen.
Im Beobachten von Wildvögel haben die Bundesländer bereits
einige Routine. Tote Vögel würden in NRW schon seit Herbst in
großer Zahl eingesammelt und untersucht, berichtet Raddatz. Der
Sprecher des Umweltministeriums in Hessen, Torsten Volkert,
berichtet, dass im vergangenen Jahr rund 1000 tote Vögel und
Kotproben vom Landeslabor in Gießen auf H5N1 analysiert worden
seien. Das bayerische Landesamt meldet 100 Tests pro Woche im
Routinebetrieb. Seit Herbst sind Eichhorn zufolge 1800 Proben
untersucht worden. In Mecklenburg-Vorpommern, wo die ersten
Vogelgrippefälle auftauchten, wurden laut
Landwirtschaftsminister Till Backhaus bereits 7000 Wildvögel und
Hausfedervieh getestet.
Auf Rügen, wo der Virus H5N1 bei toten Schwänen nachgewiesen
wurden, waren am Donnerstag 30 Mitarbeiter der Ordnungsämter
unterwegs, um 162 weitere vereendete Vögel einzusammeln, die bis
Morgen gemeldet wurden. Diese sollen untersucht werden. Für den
Einsatz weiterer Helfer fehlt es dem Kreis-Ordnungsamt zufolge
jedoch an Schutzausrüstungen. Es gebe freiwillige sowie über die
Arbeitsagentur vermittelte Helfer, sagt Ordnungsamtsleiter
Günther Schäl. Aber für sie seien nicht genügend
Schutzausrüstungen vorhanden. Er habe über das Schweriner
Innenministerium Ausrüstungen angefordert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am Abend im ZDF zu den
ersten Vogelgrippe-Fällen in Deutschland: "Es gibt keinen Grund,
dass wir panisch reagieren müssen." "Aber ich möchte auch die
Menschen bitten, sorgfältig zu sein." So sollten tote Wildvögel
gemieden und den Behörden gemeldet werden. Die Vogelgrippe habe
noch nicht auf Haustierbestände wie Hühner übergegriffen.
"Natürlich auch die Menschen brauchen sich im Augenblick noch
keine Sorgen zu machen", betonte die Kanzlerin. "Und ich hoffe,
das bleibt auch so."
HANDELSBLATT, Donnerstag, 16. Februar 2006, 18:28 Uhr