Auf dünnem Eis
Von Barbara Gillmann, Peter Thelen und Eric Bonse
Nach dem Ausbruch der Vogelgrippe in Deutschland warnen
Politiker und Gesundheitsexperten vor Panik. Die Gefahr einer
Virusübertragung auf den Menschen sei äußerst gering. Zahlreiche
Schutzmaßnahmen sollen die Ausbreitung der Tierseuche
verhindern. Selbst die teilweise Schließung der Außengrenzen ist
im Gespräch.
Bund und Länder verschärfen ihre
Schutzmaßnahmen. Noch in der Nacht zum Mittwoch - nur Stunden
nach Bekanntwerden der ersten Vogelgrippe-Fälle - ordnete
Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) an, dass
deutsche Hühner bereits ab Freitag in den Stall müssen. Ohne
eine EU-weite Koordinierung sei dem Virus jedoch nicht
beizukommen. Daher will Seehofer am Montag im
EU-Agrarministerrat auf eine EU-weite Stallpflicht drängen,
sagte er nach einer Sitzung des nationalen Krisenstabes
Tierseuchenbekämpfung, der die Lage "sehr ernst" nannte. Eine
EU-weite Stallpflicht fordert auch der Vorsitzende des
Gesundheitsausschusses im EU-Parlament, Karl-Heinz Florenz
(EVP/CDU).
Das Risiko einer Übertragung auf Hühner "auf null zu fahren"
werde allerdings trotz Stallpflicht und Verbot von
Geflügelmärkten nicht möglich sein, räumte Seehofer ein. Um
parallel die Gefahr illegaler Importe zu drosseln, müsse die EU
endlich eine Deklarationspflicht für Reisende einführen. Sein
bayrischer Kollege Werner Schnappauf (CSU) forderte, die EU
müsse "die Außengrenzen dichtmachen", um den "großen Seuchenzug
aufzuhalten". Es sei nicht akzeptabel, dass bei Stichproben
große Mengen illegal importierter Geflügelprodukte auftauchen -
allein am Münchener Flughafen seit September drei Tonnen. Wenn
Brüssel das Problem nicht löse, "müssen wir über eine punktuelle
Aussetzung des Schengen-Abkommens nachdenken".
Die Fachminister von Bund und Ländern sowie die beteiligten
Experten waren sich einig, dass die Vogelgrippefälle von Rügen
wohl erst der Anfang sind. Noch während der Krisenstab tagte,
wurde denn auch ein toter Habicht gemeldet, der wie die beiden
Schwäne zuvor mit dem H5N1-Virus infiziert war. Eine endgültige
Bestätigung durch das EU-Referenzlabor in Großbritannien steht
noch aus. Seehofer appellierte an die Bevölkerung, tote
Wildvögel auf keinen Fall anzufassen und der Polizei oder
Veterinärämtern zu melden.
Zugleich warnte der Krisenstab vor Panik. Für Verbraucher
bestehe keine Gefahr: Auf mindestens 70 Grad erhitztes
Geflügelfleisch oder Eier könnten ohne Bedenken verzehrt werden.
Zudem seien bislang ausschließlich Wildvögel betroffen.
Bei Geflügel aus Wirtschaftsbetrieben sei EU-weit noch kein Fall
von Vogelgrippe bekannt, sagte der Präsident des Zentralverbands
der Geflügelwirtschaft, Gerhard Wagner. Eine Übertragung des
Virus auf Lebensmittel hält die Branche für ausgeschlossen. Es
sei sichergestellt, dass kein krankes Tier in die
Lebensmittelkette gelange, sagte Wagner. Jedoch sei zu
befürchten, dass einzelne Staaten - etwa Russland oder
osteuropäische Länder - wegen der Fälle in Deutschland die
Grenzen für Geflügelfleisch dichtmachten. "Man benutzt das ja
gerne als Zollschranke."
Anders als etwa in Italien hat die Vogelgrippe in Deutschland
noch zu keinem Rückgang beim Geflügelfleischverzehr geführt. So
berichtete der größte deutsche Geflügelanbieter, die PHW-Gruppe
aus dem niedersächsischen Rechterfeld, von einer Stagnation des
Absatzes Ende 2005. Insgesamt hat jeder Deutsche 2005 rund 18
Kilogramm Geflügel gegessen, 200 Gramm mehr als 2004.
Sollte es zu einem Ausbruch der Vogelgrippe auch in deutschen
Ställen kommen, rechnet der deutsche Bauernverband mit
deutlichen Umsatzeinbrüchen. Schäden in dreistelliger
Millionenhöhe seien nicht auszuschließen, sagte Bauernpräsident
Gerd Sonnleitner. Schnappauf sagte: "Es ist billiger, jetzt
vorzusorgen, als später massenhaft zu keulen".
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) riet davon ab,
mögliche wirtschaftliche Folgen zu dramatisieren. Diese könne
man "erst sehen, wenn sich das alles verschärfen sollte".
Unklar ist, woher das Virus kommt. Denn Wanderungen von
Zugvögeln, die die Schwäne und den Habicht hätten anstecken
können, gibt es derzeit nicht.
Eine Impfung von Geflügel bezeichnete Seehofer als nicht
sinnvoll. Erstens gebe es noch keinen zugelassenen Impfstoff,
zweitens würde dieser "die Seuche nur maskieren", weil geimpfte
Tiere die Seuche trotzdem weiterverbreiten. Einen Impfstoff, bei
dem geimpfte von infizierten Tieren unterschieden werden können,
werde es frühestens in zwei Jahren geben. Auch die
Geflügelwirtschaft lehnt Impfungen ab. Weil man Erkrankungen
nicht rechtzeitig erkenne, sei es 2003 in Holland zu einer
flächendeckenden Geflügelpestepidemie gekommen. Erste Wahl
bleibe die Vernichtung infizierter Tiere.
Bislang wurden weltweit rund 170 Menschen von der Tierseuche
erfasst, mindestens 91 starben. Noch ist das Virus aber nicht in
der Lage, von Mensch zu Mensch überzuspringen. Sollte es diese
Fähigkeit erlernen, könnte dies zu einer weltweiten Pandemie mit
Millionen von Toten führen. Diese Gefahr sei derzeit so hoch wie
seit Jahrzehnten nicht, warnt die Weltgesundheitsorganisation
WHO. Die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie steige mit der
Verbreitung des Virus - jeder neue Ausbruch bei Geflügel erhöhe
das Risiko.
Der Vormarsch der Vogelgrippe nach Europa
Viele europäische Länder sind bereits von der Vogelgrippe
betroffen, zum Teil mit erheblichen wirtschaftlichen
Auswirkungen.
Österreich: Im Grenzgebiet zu Slowenien weisen Experten den
H5N1-Erreger am Dienstag in zwei toten Schwänen nach. Das
Gesundheitsministerium in Wien ordnet eine weiträumige
Absperrung des Gebiets an, in dem die Schwäne verendeten. In der
Region ist der Handel mit Geflügel untersagt. Die Jagd auf
Wildvögel wird verboten.
Slowenien: Auch hier wird in toten Schwänen die Vogelgrippe
nachgewiesen. Die Regierung erklärt das gesamte Staatsgebiet zur
Vogelgrippe-Risikozone.
Italien: Auf Sizilien und dem südlichen Festland finden Experten
am Wochenende in sechs toten Schwänen den H5N1-Erreger. Die
Nachfrage nach Geflügelfleisch bricht daraufhin um 50 Prozent
ein.
Griechenland: Auf der Insel Skyros weisen Veterinäre am Montag
den H5N1-Virus in einer toten Wildgans nach. Zwei Tage zuvor
waren drei verendete Schwäne positiv getestet worden.
Rumänien: Im Donau-Delta werden weitere Fälle von Vogelgrippe
bestätigt. In dem größten Feuchtgebiet Europas waren bereits im
Oktober Tiere an dem Erreger verendet. Die Region liegt auf
einer der Hauptrouten von Zugvögeln.
Ungarn: Auch hier wird am Mittwoch bei drei verendeten Schwänen
das Virus festgestellt. Ab sofort gilt eine Stallpflicht für
Geflügel im Umkreis von drei Kilometern der betroffenen Region.
HANDELSBLATT, Donnerstag, 16. Februar 2006, 07:52 Uhr