Pandemie würde für Deutschland Rezession bedeuten
Die deutsche Wirtschaft würde bei einer von der Vogelgrippe
ausgelösten menschlichen Grippe-Epidemie mittleren Ausmaßes in
eine Rezession abrutschen. Davon geht das renommierte
Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI)
in Essen aus.
Nach einer Modellrechnung des RWI würde eine
mittelschwere Epidemie mit 100 000 Toten wirtschaftliche Schäden
von etwa zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anrichten.
"Das würde zu einer Rezession führen", warnt der
Gesundheitsexperte des Instituts, Boris Augurzky. Teils globale
Rückkoppelungseffekte etwa durch Ausfälle von Zulieferern sind
in der Prognose noch nicht berücksichtigt. Die Weltbank schätzt
die weltweiten Kosten einer Grippe-Pandemie, die sich aus der
Vogelgrippe entwickeln könnte, auf etwa 800 Milliarden Dollar.
"Würden in Deutschland 100 000 Menschen sterben und 300 000 in
Krankenhäuser behandelt werden, müsste mit Kosten von 25 bis 75
Milliarden Euro gerechnet werden", rechnet Augurzky vor. Das
entspreche im Mittel etwa zwei Prozent des BIP. "Der größte
Verlust wäre der an Menschenleben, die Menschen wären ja nicht
mehr in den Betrieben." Hinzu kämen Kosten im Gesundheitssystem
sowie Arbeitsausfälle.
Die Experten des Robert-Koch-Instituts gehen bei einer Pandemie
sogar von bis zu 160 000 Toten und 600 000
Krankenhauseinweisungen aus. Wissenschaftler befürchten eine
Pandemie, wenn der H5N1-Strang des Virus mutiert und sich von
Mensch zu Mensch überträgt, was bisher nicht der Fall ist.
Auch ein Volkswirt einer deutschen Großbank, der ungenannt
bleiben will, sagt: "Im schlimmsten Falls sind wir sofort in der
Rezession." Aber schon wenn die Bevölkerung erwarte, dass es zu
einem Ausbruch kommen könnte, hätte dies wohl Ökonomische
Folgen. Aus Angst vor Ansteckung würden Arbeitnehmer zu Hause
bleiben, was zu Engpässen in der Produktion führen würde. Und da
es die klassische Lagerhaltung nicht mehr gebe, würden
Lieferanten-Ausfälle die Wertschöpfungskette gleich am Anfang
unterbrechen. "Das ist ein Dominoeffekt", weiß auch Augurzky.
Augurzky unterstreicht, dass die Kostenspanne von 25 bis 75
Milliarden Euro bewusst groß gehalten sei, weil es bisher keine
umfassende Studie zu dem Thema gebe. Möglicherweise könne man
auf Modelle zur Errechnung der Folgen der Aids-Epidemie in
Südafrika zurückgreifen. Der Banken-Volkswirt ergänzt, exakt
berechnen ließen sich die Ausgaben wohl nicht: "Das können auch
minus zehn oder minus ein Prozent (des BIP) sein."
Augurzky geht davon aus, dass es bei einer Grippe-Epidemie zu
erheblichen Einschränkungen beim privaten Konsum kommen würde.
"Alles, was nicht die Grundbedürfnisse angeht, wird
vorübergehend ausgesetzt." Auch die Krisenstäbe würden dann von
Besuchen in Kinos oder Kaufhäusern abraten. Der Banken-Volkswirt
schränkt jedoch ein, zunächst werde der Einzelhandel von
Hamsterkäufen der ängstlichen Bevölkerung profitieren.
An den Finanzmärkten würde im Fall einer Grippe-Pandemie eine
Flucht in Qualitätstitel einsetzen, vermutet der Banker:
"Staatsanleihen, Geldmarkt oder auch Gold." Insgesamt halten
sich Analysten und Fondsmanager mit Aussagen zu den Auswirkungen
auf die Finanzmärkte zurück. "Wir wollen ja unsere Kunden nicht
verschrecken", sagt ein Aktienstratege einer Bank.
Für die Kursentwicklung an den Finanzmärkten spielt die
Vogelgrippe noch keine Rolle, betonen Börsianer. Norbert Pütz,
Händler bei der Postbank, erläutert: "Die Vogelgrippe wird erst
dann ein Thema, wenn Handels- und Reisebeschränkungen erlassen
werden. Davon sind wir aber noch weit entfernt."
Per-Ola Hellgren von der Landesbank Rheinland-Pfalz schrieb in
einer Kurzstudie zu den Auswirkungen der Vogelgrippe auf den
Aktienkurs der Lufthansa, die Krankheit sei noch nicht von
Mensch zu Mensch übertragbar, insofern sei der Zusammenhang mit
der Luftfahrt weniger offensichtlich als bei der Lungenkrankheit
Sars vor zwei Jahren. Die mit der Vogelgrippe verbundenen
Risiken seien außerdem lange bekannt und müssten bereits zum
Teil im Kurs eingepreist sein.
Nach einer Studie der Weltbank von Anfang November würden sich
die weltweiten Kosten einer Grippe-Pandemie auf etwa zwei
Prozent des Welt-BIP summieren. Eine Studie des US-Kongresses
bezifferte den Schaden für die US-Wirtschaft allein sogar auf
675 Milliarden Dollar oder rund fünf Prozent des US-BIP.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 15. Februar 2006, 12:23 Uhr