Vogelgrippe: EU soll größere Rolle spielen

Vor dem heute tagenden EU-Agrarministerrat fordern Deutschland, Frankreich und die Niederlande eine stärkere Rolle Brüssels im Kampf gegen die Vogelgrippe. Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) will bei seinen Kollegen für eine allgemeine EU-weite Deklarationspflicht für Reisende werben. Die Niederländer fordern, dass die EU ihre Außengrenzen strenger kontrolliert. " Außerdem soll sich die EU im Kampf gegen das Virus in der Türkei stärker engagieren", sagte die Sprecherin des Landwirtschaftsministers. Bis dahin setzt Den Haag auf verschärfte Selbsthilfe.
Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin hatte jüngst eine "Vogelgrippe-Task Force" der EU verlangt. Ein solches Experten-Netzwerk gebe es längst, konterte die Kommission. Als ersten Schritt zu mehr Kooperation ist nun eine deutsch-französische Task-Force geplant. Gemeinsam wolle man vor allem die Kontrollen "vereinheitlichen und intensivieren", sagt Seehofers Sprecherin. Gelassen gehen dagegen Italiener und Briten mit der Gefahr um. Das gilt auch für die Skandinavier, die aber eine eigene Impfstoffproduktion aufbauen wollen.
In Frankreich sorgte gestern ein Verdacht auf Vogelgrippe bei einer aus der Türkei zurückgekehrten Frau für Aufregung. Erste Tests waren jedoch negativ. Frankreich geht massiv gegen die Seuche vor: An der großen Landwirtschaftsmesse Ende Februar dürfen Geflügelzüchter nicht teilnehmen. In Frankreich gibt es 30 000 Geflügelzüchter mit 916 Millionen Tiere. Die Stallpflicht wurde ausgedehnt und erfasst nun mehr als die Hälfte des Landes. Im Februar sind große Vogelgrippe-Übungen geplant. Die vorhandenen 14 Mill. Einheiten des Grippemittels Tamiflu sollen bis 2007 auf 33 Mill. aufgestockt werden. In Deutschland sieht Seehofer eine "erhöhte" Gefahr. Die Stallpflicht soll wahrscheinlich vor der Rückkehr der Zugvögel erneuert werden.
Im Süden wächst die Sorge vor allem in Griechenland. Athens Gesundheitsminister Nikitas Kaklamanis warnte vor Reisen ins Nachbarland, die schon jetzt um 80 Prozent zurückgegangen sind. In der Türkei haben sich 21 Menschen mit Vogelgrippe infiziert, vier Kinder sind gestorben.
Die Griechen desinfizieren daher an beiden Grenzübergängen aus der Türkei kommende Fahrzeuge, Reisegepäck wird durchsucht. In einigen der 52 Präfekturen, so auf Kreta und Lesbos, wurde inzwischen Stallpflicht angeordnet. Auf der Insel Kastellorizo unmittelbar vor der türkischen Küste ließen die Einwohner freiwillig alle Hühner töten. Athen hat 450 000 Dosen Tamiflu bestellt, die aber erst ab Mai geliefert werden.
Gelassenheit herrscht dagegen in Italien: Gesundheitsminister Francesco Storace sieht "kein weiteres Risiko durch die Herde in der Türkei". Allerdings sollen 20 Millionen Dosen Impfstoffe für Hühner bestellt werden. Seit Oktober ist es Pflicht, die Herkunft aller Geflügelarten auf den Verpackungen zu nennen. Eine Stallpflicht wird nicht erwogen.
Die Schweiz wartet ab: Eine erneute Stallpflicht ist dort "kein Thema", zumal die Vögel im Frühjahr weniger lange rasten würden. Auch Österreich hatte die Stallpflicht aufgehoben, in diversen Risikogemeinden ist die Fütterung aber weiter nur in Ställen erlaubt.
In Skandinavien und dem Baltikum gab und gibt es keine Stallpflicht. Dänemark, Norwegen und Schweden wollen dennoch eine eigene Impfstoff-Produktionen aufbauen. Die Entwicklung eines Impfstoffes werde jedoch drei bis fünf Jahre dauern, heißt es in Skandinavien. Auch die Weltgesundheitsorganisation warnt, dass die Impfstoffproduktionskapazitäten im Fall einer Vogelgrippe-Epidemie unter Menschen viel zu gering seien. Tamiflu lagern auch die Behörden der Nordländer ein. Experten zweifeln jedoch an der Wirksamkeit des Grippemittels bei Vogelgrippe.
Die Briten sehen keinen Grund, Hühner aus Freigehegen zu verbannen, solange die Seuche nicht weiter nach Westen ziehe. Derzeit lagern die Behörden vier Millionen Dosen Tamiflu ein.

HANDELSBLATT, Montag, 23. Januar 2006, 08:35 Uhr


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