Unternehmen rüsten sich

Deutschlands Unternehmen rüsten sich mit Notfallplänen gegen die Vogelgrippe. Vor allem die großen und globalen Firmen befassen sich mit der Möglichkeit einer weltweiten Ausbreitung des für den Menschen gefährlichen H5N1-Virus. Das ergibt eine Umfrage des Handelsblatts.
Während die Bundesregierung bei der Abwehr der Vogelgrippe Deutschland gut gewappnet sieht, melden Experten Zweifel an. "Die Deutsche Bank hat natürlich ein weltweites Programm zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes", sagte ein Sprecher des Konzerns. Um den internationalen Zahlungsverkehr auch bei Katastrophen aufrechtzuerhalten, sind solche Programme für sensible Branchen wie Banken vorgeschrieben.
Auch die Deutsche Post als Logistikkonzern greift im Notfall auf solche Pläne zurück. Im Kern geht es darum, bei Stromausfällen, politischen Umstürzen oder wenn ein Großteil der Belegschaft nicht da ist, arbeiten zu können. "Wir haben viele Modelle, über deren Details wir keine Auskunft geben. Entscheidender als solche ,Wenn-dann-Konstruktionen’ ist aber, dass wir jetzt die richtigen Experten suchen, mit denen wir uns im Falle eines Falles vernetzen und die uns dann beraten", sagt der Deutsche-Bank-Sprecher.
In anderen Unternehmen gebe es Szenarien für den Extremfall, dass bis zu 50 Prozent der Belegschaft erkrankt seien, heißt es in Branchenkreisen. Für die gesunden Mitarbeiter stellten Unternehmensärzte bereits jetzt sicher, dass ausreichend Medikamente und Schutzmasken zur Verfügung stünden.
Viele Firmen lagern Medikamente wie Tamiflu ein und empfehlen ihren Mitarbeitern Grippeimpfungen. Diese haben bei der Lufthansa deutlich zugenommen. Die Luftfahrtgesellschaft wäre von einer Ausbreitung der Krankheit ebenso wie der Reisekonzern Tui besonders betroffen, weil viele Kunden aus Angst vor einer Ansteckung wegblieben. Doch auch die Angestellten sind auf Grund ihres Kontakts mit den Kunden besonders gefährdet.
Die Ratingagentur S&P erwägt deshalb, die Bonität entsprechender Unternehmen zu senken. Ein schlechteres Rating hat für die Konzerne finanzielle Nachteile, weil es künftige Kredite verteuert. Auch Versicherer gelten als Verlierer bei einer Ausbreitung der Vogelgrippe. Die Allianz entwickelt in "Worst-Case-Szenarien" interne Kalkulationen für die Bereiche Lebens-, Sach- und Krankenversicherung.
Beim Chemiespezialisten Degussa gibt es detaillierte Pläne und Vorgaben für die einzelnen Werke und Regionen, sagt Rolf Breitstadt, Medizinischer Direktor des Unternehmens. "Wir haben uns dabei an die klaren Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO und des Robert-Koch-Instituts gehalten."
Im Falle einer Ausbreitung der Krankheit wollen die Unternehmen direkte Kontakte zwischen den Mitarbeitern möglichst vermeiden. Das heißt, keine Besprechungen mehr von Angesicht zu Angesicht. Mitarbeiter, die nicht dringend am Arbeitsplatz gebraucht würden, sollen dann von zu Hause aus arbeiten. Breitstadt warnt davor, Medikamente als alleiniges Wundermittel gegen die Vogelgrippe zu betrachten. "Das kann die Krankheit nicht aufhalten, nur die Folgen etwas mildern."
Während sich viele große Unternehmen auf eigene Notfallstäbe verlassen, greifen vor allem kleinere Firmen auf externe Spezialisten zurück. So wendet sich die Münchener Südchemie an den Gesundheitsdienstleister International SOS, der bei der Erstellung von Notfallplänen hilft. Deren Deutschland-Geschäftsführer Marcus Klosterberg bestätigt: "Verstärkt kommen in letzter Zeit viele mittelständische Unternehmen zu uns." Doch auch internationale Konzerne wie General Electric, General Motors und Corning nehmen die Leistungen in Anspruch. "Gerade in der Vorbereitung auf eine mögliche Pandemie bieten wir unseren Kunden gezielte Produkte an", sagt Klosterberg. Im Winter 2002/2003 war der Dienstleister bereits sehr aktiv, als sich die Lungenkrankheit SARS ausbreitete und fast 1 000 Opfer forderte.
Trotz ihrer Bemühungen sind die deutschen Firmen nach Ansicht einiger Experten noch nicht genügend auf eine mögliche Ausbreitung der Vogelgrippe vorbereitet. Zwar hätten die meisten Großunternehmen das Thema auf der Agenda. "Das heißt aber noch nicht, dass sie wirklich vorbereitet sind", sagte der Leiter Sicherheits- und Krisenmanagement des Beratungsunternehmens Result Group, Christopher Schramm. "Beim Mittelstand kommt das Thema jetzt erst an." Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) warnte, dass ein großflächiger Ausbruch ansteckender Krankheiten für Unternehmen schnell kritisch werden könne. Das RWI geht in einer Modellrechnung für Deutschland davon aus, dass die finanziellen Folgen bei 25 bis 75 Milliarden Euro liegen könnten.
Die Bundesregierung sieht sich indes gut gerüstet. "Entscheidend ist, dass das Informations- und Warnsystem steht, dass die Fachleute vorbereitet sind", sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Darüber hinaus will sich die Regierung mit acht Millionen Euro an der Bekämpfung der Vogelgrippe in Indonesien und Vietnam beteiligen. Die Weltbank forderte vor der heute in Peking beginnenden Vogelgrippe-Konferenz, dass die Industrienationen mindestens 822 Millionen Euro in die Vorbeugung investieren sollten. Für die nächsten drei Jahre beziffert die Weltbank den Bedarf auf 1,4 Mrd. Euro.

HANDELSBLATT, Dienstag, 17. Januar 2006, 08:12 Uhr


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