Wirtschaft rüstet sich gegen Vogelgrippe

Nicht nur Politiker und Konsumenten sorgen sich zunehmend um die immer näher rückende Vogelgrippe. Ein Ausbruch der Seuche bei Menschen träfe nach Experten-Ansicht auch deutsche Unternehmen enorm. Generell kann ein großflächiger Ausbruch ansteckender Krankheiten für Firmen schnell kritisch werden, weshalb bereits Notfallpläne entwickelt wurden.
Besonders in einer eingespielten Kette von Zulieferern würden Stockungen in der Produktion eines Betriebes im Ausland wie in einem Domino-Effekt an die anderen Betriebe in der Kette weiter gereicht, sagte der Gesundheitsökonom Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. "Die finanziellen Ausfälle nehmen dann auch bei Unternehmen, die selbst gar nicht betroffen sind, schnell ein bedrohliches Ausmaß an."
Augurzky leitet am RWI den Kompetenzbereich Arbeitsmärkte, Bevölkerung und Soziale Sicherung und versuchte in einer Modellrechnung, die finanziellen Folgen eines großen Krankheitsausbruchs für Deutschland zu kalkulieren. Dafür verwandte er Zahlen, die Gesundheitsexperten zufolge für einen Grippe-Ausbruch durchaus realistisch sind: Wenn deutschlandweit 300 000 Menschen in Krankenhäusern behandelt werden müssen und 100 000 Menschen sterben, ziehe dies volkswirtschaftliche Kosten von 25 bis 75 Mrd. Euro nach sich. "Auch langfristig hat ein solcher Fall Nachwehen", sagte Augurzky. Selbst wenn die unmittelbare Krise vorbei sei, müssten Unternehmen neue Mitarbeiter einstellen und einarbeiten.
Um zumindest die Krisenanfälligkeit des eigenen Unternehmens zu reduzieren, hätten große Konzerne Notfallpläne in der Schublade, erklärt der Wirtschafts-Experte. Idealer Weise arbeiteten sie dafür mit dem örtlichen Gesundheitswesen zusammen. "Grundsätzlich aber unterscheidet sich das Risikomanagement bei einer großen Grippewelle nicht sehr von dem bei anderen Notfällen."
Im Fall der Fälle sollten "Schlüsselmitarbeiter" von zu Hause aus arbeiten können, schlägt Augurzky vor. "Und es ist generell sinnvoll, Abhängigkeiten von anderen Unternehmen auf das Risiko des Ausfalls eines dieser Unternehmen hin zu überprüfen."
Zahlreiche große deutsche Unternehmen haben Notfallpläne für den Fall einer weltweiten Ausbreitung eines für Menschen gefährlichen Vogelgrippe-Virus entwickelt. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bei 20 Dax-Unternehmen. Danach gibt es Verhaltensregeln für Regionen, in denen das derzeit vor allem für Vögel gefährliche H5N1-Virus aufgetreten ist, es werden Medikamente gelagert und Grippeimpfungen empfohlen. Akuten Handlungsbedarf sehen die Unternehmen bisher aber nicht.
Nach Experteneinschätzung reichen die Vorbereitungen der Unternehmen nicht aus. Zwar hätten mittlerweile die meisten Großunternehmen das Thema auf der Agenda. "Das heißt aber noch nicht, dass sie wirklich vorbereitet sind", sagte der Leiter Sicherheits- und Krisenmanagement des Beratungsunternehmens Result Group, Christopher Schramm. "Beim Mittelstand kommt das Thema jetzt erst an."
Die Ausbreitung des Virus wird von den meisten befragten Firmen vor allem beobachtet. In vielen Fällen gibt es ständigen Kontakt zu Behörden wie der Weltgesundheitsorganisation WHO und dem in Deutschland für Infektionskrankheiten zuständigen Robert-Koch- Institut. Übereinstimmend hieß es, bisher sehe man keinen Grund zur Sorge, da noch keine Ansteckungskette von Mensch zu Mensch bekannt sei. Den Angaben zu Folge gibt es daher keine Reisebeschränkungen oder -verbote. Häufig werden Hinweise, wie das Meiden von Geflügelmärkten und Tipps für Reisen in betroffene Länder im Intranet der Unternehmen bereitgestellt.
Der weltgrößte Chemiekonzerns BASF lässt einen detaillierten Pandemie-Plan erarbeiten. Dieser soll organisatorische und hygienische Maßnahmen umfassen. Im vergangenen Herbst hätten sich nach einer Empfehlung von BASF 3700 Mitarbeiter gegen Grippe impfen lassen, doppelt so viele wie im Jahr zuvor.
Auch bei der Lufthansa hieß es, die Zahl der Grippeschutzimpfungen habe deutlich zugenommen. Der Konzern verwies darauf, dass die Gefahr, sich in einem Flugzeug anzustecken, gering sei, da die Luft alle drei Minuten ausgetauscht werde.
Der Sportartikel-Hersteller Adidas hat vor allem für seine in Asien liegenden Hauptproduktionsstandorte Verhaltensregeln aufgestellt. So dürften die Mitarbeiter kein lebendes Federvieh in die Fabrikküchen mitbringen und dort schlachten. Obwohl durch die Ausbreitung der Vogelgrippe in der Türkei das Gefühl aufkomme, "dass die Grippe näher kommt", sollen überzogene Reaktionen vermieden werden, hieß es.
"Die Deutsche Bank hat natürlich ein weltweites Programm zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes, das alle Eventualitäten umfasst und ständig aktualisiert wird", sagte ein Sprecher. Es greife bei Vogelgrippe, wie auch bei Naturkatastrophen, Stromausfällen oder politischen Umstürzen.
Der Versicherungskonzern Allianz bereite sich in vier Bereichen auf eine mögliche Pandemie vor. Es würden auf der Basis eigener "Worst-Case-Szenarien" interne Kalkulationen für die einzelnen Versicherungsbereiche Lebens-, Sach- und Krankenversicherung entwickelt. Darüber hinaus gebe es Informationen für Kunden, Reisende und Mitarbeiter. Außerdem werde geprüft, wer von zu Hause aus arbeiten könne.
Der Hersteller des Grippemittels Tamiflu - der Pharmakonzern Roche - hat für seinen Stammsitz in der Schweiz und seine Niederlassungen in Deutschland ebenfalls geprüft, welche Dienste betriebsnotwendig seien und welche Mitarbeiter nicht in die Werke kommen müssten.
Die Autobauer Ford, Volkswagen und Daimler-Chrysler haben allgemeine Pläne für den Umgang mit schweren Krankheiten, die auch für die Vogelgrippe gelten würden. Es werde auf Veränderungen reagiert. "Aber wir reagieren nicht über", sagte eine Daimler-Chrysler-Sprecherin.

HANDELSBLATT, Montag, 16. Januar 2006, 14:10 Uhr


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