Forscher entdecken Mutation bei H5N1
Wissenschaftler haben bei der Analyse des Vogelgrippevirus H5N1
von zwei Todesopfern in der Türkei eine alarmierende Entdeckung
gemacht: Offenbar mutierte der Virus so, dass es sich leichter
an eine menschliche Zelle binden kann als an die eines Vogels.
Die Veränderung in einem Gen sei in einer der beiden Proben
festgestellt worden, erklärte die Weltgesundheitsorganisation
(WHO). Es sei aber noch zu früh für eine Einschätzung, ob es
sich dabei um eine wichtige Mutation handele. Sie erlaube es
dem Virus aber, sich leichter an eine menschliche Zelle zu
binden als an die eines Vogels.
Dies könne ein Schritt des Virus sein, sich an den Menschen
anzupassen, erklärte der WHO-Virologe Mike Perdue. Allerdings
habe der Virus sich nicht so weit verändert, als dass er für den
Menschen gefährlicher geworden wäre. "Wir müssen abwarten und
sehen, wie die restlichen Viren aus der Türkei aussehen", sagte
Perdue.
Bereits vor Bekanntgabe der Genveränderung hatte die WTO vor dem
zunehmenden Risiko einer weltweiten Epidemie gewarnt. "Die neuen
H5N1-Infektionsfälle beim Menschen in der Türkei zeigen, dass
sich die Situation jeden Monat verschlechtert und die Gefahr
einer Grippe-Pandemie jeden Tag weiter wächst", sagte der
WHO-Generaldirektor für die Westpazifik-Region, Shigeru Omi. Es
müsse daher sichergestellt werden, dass mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln auf erste Anzeichen einer Grippe-Pandemie
reagiert werden könne. Dann sei die Chance groß, eine
Ausbreitung der Krankheit zu verhindern oder sie zumindest
einzudämmen, bevor die Situation außer Kontrolle gerate.
Die Zahl der in der Türkei mit dem tödlichen Erreger Infizierten
stieg indes auf insgesamt 18, die meisten von ihnen Kinder.
Sollte das Virus tatsächlich die Fähigkeit erlangen, von Mensch
zu Mensch überzuspringen, droht laut Experten eine weltweite
Ausbreitung, die Millionen Tote zur Folge haben könnte. Der WHO
zufolge gibt es trotz der Mutationsentdeckung bislang keine
Anzeichen dafür, dass die gefährliche Virus-Variante H5N1, die
vor allem in Asien grassiert, von Mensch zu Mensch übertragen
wird.
Die Vereinten Nationen (UN) hatten nach der rasanten Ausbreitung
der Vogelgrippe in der Türkei vor einem ernsthaften Risiko für
die Nachbarländer gewarnt. Innerhalb kurzer Zeit trat die
Krankheit in mehr als 80 Provinzen auf, darunter in
Touristenzentren an der Ägäis-Küste. Bei den Toten und
Infizierten handelt es sich um die ersten Fälle außerhalb Chinas
und Südostasiens, wo seit Auftreten der Krankheit mehr als 70
Menschen daran gestorben sind.
Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer kündigte an, dass
mit dem Beginn des Vogelzugs eine Stallpflicht in Deutschland
mit höchster Wahrscheinlichkeit nötig werde. Bund und Länder
hätten sich darauf geeinigt, die Kontrollen zur Verhinderung der
illegalen Einfuhr von Geflügel und Geflügelprodukten auf dem
Luft- und Landweg zu verstärken. Außerdem werde sich Deutschland
europaweit für eine einheitliche Deklarationspflicht für das
Mitbringen von Lebensmitteln einsetzen.
Die niederländische Regierung bevorzuge als vorbeugende Maßnahme
die Impfung des Geflügelbestandes, sagte ein Sprecher des
Agrarministeriums. Noch vor dem Frühling solle der Europäischen
Kommission ein entsprechender Plan vorgelegt werden. Die
Kommission muss die Maßnahme den Angaben zufolge genehmigen. Die
Europäische Union (EU) sieht normalerweise Impfung als letzte
Maßnahme zur Bekämpfung der Vogelgrippe und verhängt ein
Importverbot auf lebende Tiere aus den Ländern, die ihre
Geflügelbestände impfen.
Frankreich kündigte an, seinen Grippemittelvorrat um Millionen
Dosen aufzustocken. "2007 werden wir 33 Millionen Dosen gegen
Viren besitzen", sagte Gesundheitsminister Xavier Bertrand.
Derzeit hat Frankreich 13,8 Millionen Einheiten des Mittels
Tamiflu eingelagert. Sie sollen im Falle einer Mutation des
Virus H5N1 zu einem leicht von Mensch zu Mensch übertragbaren
Erreger kostenlos bereitgestellt werden.
Für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung der Vogelgrippe
müssen nach Angaben der UN auf der internationalen
Geberkonferenz in China zunächst 1,4 Milliarden Dollar
zusammenkommen. Nach Angaben der Weltbank könnte allein die
Türkei rund 30 Millionen Dollar von dem Geldinstitut erhalten.
Die Weltbank hat zudem eine Kreditlinie im Volumen von 500
Millionen Dollar vorgeschlagen, die Staaten bei der Bekämpfung
der Vogelgrippe zu Gute kommen soll.
HANDELSBLATT, Freitag, 13. Januar 2006, 07:43 Uhr