Vogelgrippe-Gefahr steigt von Tag zu Tag

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor der wachsenden Gefahr einer weltweiten Vogelgrippe-Epidemie. In Indonesien kam es unterdessen zu einem weiteren Todesfall durch den aggressiven H5N1-Erreger.
Die Gefahr einer solchen Pandemie steige täglich, sagte der WHO-Generaldirektor für den Westpazifik, Shigeru Omi, am Donnerstag zu Beginn einer Konferenz asiatischer Staaten und internationaler Organisationen in Tokio. Daher komme der Prävention besondere Bedeutung bei. Ein Scheitern könne unabsehbare Folgen haben. Eine Pandemie sei aber nicht unausweichlich, wenn die Staaten und Gesundheitsorganisationen rasch genug reagieren könnten.
Experten warnen, dass das Risiko einer Ausbreitung der Krankheit Ende des Monats ansteigen könnte: Dann feiern Chinesen weltweit ihr Neujahrsfest, zu dem traditionell Geflügelgerichte auf den Tisch kommen. Hierzu würden große Mengen Geflügel in engen Käfigen um den Globus transportiert, was das Ansteckungsrisiko unter den Tieren enorm erhöhe, sagte der Mikrobiologe Leo Poon an der Universität Hongkong. "Und dann steigt auch das Risiko für den Menschen, sich anzustecken", fügte er hinzu.
Sollte das Virus die Fähigkeit erlangen, von Mensch zu Mensch überzuspringen, droht Experten zufolge eine weltweite Ausbreitung, die Millionen Tote zur Folge haben könnte. Der WHO zufolge gibt es allerdings nach wie vor keine Anzeichen dafür, dass die gefährliche Virus-Variante H5N1, die vor allem in Asien grassiert, von Mensch zu Mensch übertragen wird. Doch waren nach der rasanten Ausbreitung der Vogelgrippe in der Türkei Befürchtungen vor einem Übergreifen der Krankheit auf weitere Länder aufgekommen. Trotz der aktuellen Situation in der Türkei bestehe aber das größte Risiko immer noch in Asien, dort gäbe es die meisten Kontakte zwischen infiziertem Geflügel und Menschen.
"Die neuen H5N1-Infektionsfälle beim Menschen in der Türkei zeigen, dass sich die Situation jeden Monat verschlechtert und die Gefahr einer Grippe-Pandemie jeden Tag weiter wächst", sagte Omi. Es müsse daher sichergestellt werden, dass mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf erste Anzeichen einer Grippe-Pandemie reagiert werden könne. Dann sei die Chance groß, eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern oder sie zumindest einzudämmen, bevor die Situation außer Kontrolle gerate. "Aber wenn wir scheitern, könnten die Konsequenzen für die Gesellschaften, die Volkswirtschaften und die Gesundheit der Bevölkerung weltweit unabsehbar werden."
Der Grippeforscher Kenji Fukuda sagte, die Ausarbeitung eines Notfallplans gegen eine tödliche Grippe könnte den Wissenschaftlern wichtige Zeit bei der Entwicklung eines Impfstoffs verschaffen. "Eine solche Idee könnte, erfolgreich umgesetzt, dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit der Welt haben", sagte Fukuda.
In der Türkei hat sich die Vogelgrippe innerhalb kurzer Zeit ausgebreitet, darunter auf Touristenzentren an der Ägäis-Küste. Mindestens zwei Kinder sind an der Krankheit gestorben, Dutzende weitere haben sich infiziert. Sie sind die ersten Fälle außerhalb Chinas und Südostasiens, wo seit Auftreten der Krankheit mehr als 70 Menschen daran gestorben sind.
Die Vereinten Nationen (UN) hatten am Mittwoch nach der Ausbreitung der Vogelgrippe in der Türkei vor einem ernsthaften Risiko für die Nachbarländer gewarnt. Für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung der Vogelgrippe müssen nach Angaben der UN auf der internationalen Geberkonferenz in China zunächst 1,4 Mrd. Dollar zusammenkommen. Der UN-Koordinator David Nabarro sagte am Mittwoch in New York, er sei zuversichtlich, dass die Summe auf der Konferenz in Peking am 17. und 18. Januar auch aufgebracht werde. Allerdings werde in Zukunft noch weit mehr Geld nötig sein. Das Geld solle Ländern und Organisationen bei ihren Bemühungen helfen, die Vogelgrippe-Ausbreitung bei Tieren und und die Übertragung auf den Menschen zu verhindern.
Nach Angaben der Weltbank könnte allein die Türkei rund 30 Mill. Dollar von dem Geldinstitut erhalten. Die Weltbank hat zudem eine Kreditlinie im Volumen von 500 Mill. Dollar vorgeschlagen, der Staaten bei der Bekämpfung der Vogelgrippe zu Gute kommen soll.
In Indonesien ist nach Regierungsangaben unterdessen ein weiterer Mensch an der Vogelgrippe gestorben. Die 29 Jahre alte Frau haben Kontakt mit Hühnern gehabt. Eine endgültige Bestätigung der Todesursache durch ein Referenzlabor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehe allerdings noch aus, erklärte das Gesundheitsministerium am Donnerstag.
Ein Ergebnis des Hongkonger Labors wird auch im Fall eines 39-jährigen Mannes erwartet, der ersten Tests zufolge ebenfalls an der Vogelgrippe starb. Sollten sich beide Verdachtsfälle bestätigen, stiege die Zahl der Vogelgrippe-Opfer in Indonesien auf 13.
Das Auswärtige Amt wird aller Voraussicht nach wegen der Vogelgrippe keine Reisewarnungen für ein oder mehrere Länder herausgeben. Es habe noch nie eine Reisewarnung wegen einer Seuche gegeben, sagte ein Sprecher am Donnerstag zu Dow Jones Newswires. Reisewarnungen spreche die Behörde nur aus, wenn eine "permanente Gefahr für Leib und Leben" deutscher Bundesbürger bestehe. Dies sei bei der Vogelgrippe nicht der Fall. Es sei aber wahrscheinlich, dass in an die Türkei angrenzenden Ländern weitere Fälle von Vogelgrippe bekannt würden.
Das Auswärtige Amt spricht den weiteren Angaben zufolge Reisewarnungen aus, wenn sich Reisende nicht durch einen "blanken Ortswechsel" vor einer Gefahr schützen können. Dies gelte beispielsweise für Länder, in denen Krieg geführt werde, sagte der Sprecher. Beispielsweise könnten sich Reisende im Irak nicht durch einen Wechsel des Hotels davor schützen, Opfer von Anschlägen zu werden. Dort sei es in diversen Hotels gleich gefährlich.
Den Gefahren der Vogelgrippe können Reisende nach Angaben der Behörde aber begegnen. Beispielsweise könnten sie den Kontakt mit Geflügel meiden und sich nicht an Orten aufhalten, an denen Fälle von Vogelgrippe bekannt geworden seien, wie beispielsweise Märkte, sagte der Sprecher.

HANDELSBLATT, Donnerstag, 12. Januar 2006, 12:00 Uhr


zurück zur Vogelgrippe-Startseite