Deutsche Hühner bleiben vorerst frei

Wenn im Frühling die Zugvögel zurückkehren, wächst auch die Gefahr der Ansteckung mit Vogelgrippe. Verbraucherschutzminister Horst Seehofer und seine Länderkollegen konnten sich jedoch noch nicht darauf einigen, das Geflügel in den Stall zu sperren. Die Entscheidung fällt später. Dabei sind selbst die Bauern fürs Einsperren.
"Wir müssen davon ausgehen, dass mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Stallpflicht nötig wird", sagte Seehofer am Mittwochabend nach einem Treffen mit seinen Länderkollegen in Berlin. Er will darüber aber erst im Laufe des Monats entscheiden. Die Vorsichtsmaßnahme soll die Infektion von Hühnern, Gänsen und Enten in landwirtschaftlicher Haltung durch Zugvögel verhindern. Diese Gefahr droht nach Ansicht von Experten aber erst ab Ende Februar oder Anfang März.
Bund und Länder hätten sich darüber hinaus darauf geeinigt, die Kontrollen gegen die Einfuhr von Geflügel und Geflügelprodukten auf dem Luft- und Landweg zu verstärken. Außerdem werde sich Deutschland europaweit für eine einheitliche Deklarationspflicht für das Mitbringen von Lebensmitteln einsetzen. In Deutschland selbst werde der Zoll unverzüglich damit beginnen, Reisende ausdrücklich nicht nur nach zu verzollenden Waren, sondern auch nach mitgebrachtem Geflügel und Geflügelprodukten zu fragen.
In der Türkei waren zuvor in einem Touristengebiet am Mittelmeer vier Menschen mit Verdacht auf Vogelgrippe ins Krankenhaus gebracht worden. Der auch für Menschen gefährliche Vogelgrippe-Erreger H5N1 hat bereits Tiere in rund einem Drittel aller türkischen Provinzen befallen. Mindestens zwei Kinder starben an einer H5N1-Infektion, mehr als ein Dutzend Menschen haben sich mit dem Erreger angesteckt.
Bereits zu Wochenbeginn hatten zahlreiche Bundesländer ihre Kontrollen von Reisenden aus den Gefahrengebieten verschärft. In der EU wird Deutschland nach den Worten Seehofers darauf dringen, dass die Kontrollen an den Außengrenzen verstärkt werden. Wenn in Deutschland illegal eingeführte Geflügelprodukte beschlagnahmt würden, deute das darauf hin, dass an den Außengrenzen zu wenig kontrolliert werde.
Der Deutsche Bauernverband unterstützte Seehofers Vorhaben. "Wenn der Seuchenzug so bleibt, müssen wir im Februar wieder eine Stallpflicht ausrufen", sagte Verbandspräsident Gerd Sonnleitner. Er befürwortete auch schärfere Grenzkontrollen: "Wir müssen wegen des starken Personen- und Warenverkehrs etwa mit der Türkei höllisch aufpassen", sagte Sonnleitner. "Es ist teilweise unglaublich, was von dort an Federvieh, tierischen Produkten und Lebensmitteln eingeführt wird."
Nach Einschätzung des Bauernverband könnte ein Ausbruch der Vogelgrippe in den Zentren der Geflügel- und Eierproduktion Schäden bis zu einer dreistelligen Millionenhöhe verursachen. "Es wäre nicht gefährlich für die Bevölkerung, aber der wirtschaftliche Schaden derer, die von Geflügelhaltung und Eierproduktion leben, wäre katastrophal", sagte Sonnleitner in n-tv.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO setzte sich dafür ein, auch die am Donnerstagabend beginnende Internationale "Grüne Woche" in Berlin streng zu kontrollieren. Der Leiter des WHO-Influenza-Programms, Klaus Stöhr, sagte dem Internet-Dienst "Focus-Online", die Gefahr sei relativ hoch, dass der Erreger durch die große Ansammlung von Tieren und Menschen bei der Landwirtschafts- und Ernährungsausstellung verbreitet werde.
Die Vorsitzende des Bundestags-Agrarausschusses, Bärbel Höhn, befürwortete eine Stallpflicht wenn notwendig. Sie sei aber nicht das Non-Plus-Ultra, sagte die Grünen-Politikerin im Bayerischen Rundfunk. Wichtigste Maßnahme sei, den illegalen Transport von Geflügel zu unterbinden, an Flughäfen verstärkt zu kontrollieren und Reisende auf das Risiko hinzuweisen.
Der FDP-Agrarexperte Michael Goldmann mahnte eine bessere Abstimmung zwischen Bund und Ländern an. Neben strengen Kontrollen im In- und Ausland führe an einem erneuten Verbot der Freilandhaltung kein Weg vorbei. Seine Linksfraktions-Kollegin Kirsten Tackmann bemängelte, die bundesweite Koordination der Maßnahmen entspreche nicht immer den Erfordernissen. Sie setzte sich für die Schaffung eines epidemiologischen Zentrums ein.

HANDELSBLATT, Mittwoch, 11. Januar 2006, 19:22 Uhr


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