Vogelgrippe erreicht Urlaubsziele der Deutschen / Risiko steigt auch hierzulande
Während deutsche Experten noch uneins sind über die aktuelle
Gefahr für Deutschland durch die Vogelgrippe breitet sich die
Tierseuche immer weiter aus. Das Virus ist nun erstmals auch in
einem türkischen Urlaubsort an der ägäischen Küste aufgetaucht.
Die Vogelgrippe sei in der Stadt Kusadasi (deutsch: Vogelinsel)
festgestellt worden, nachdem dort Tauben, Amseln und
Ringeltauben verendet seien, berichtete die türkische
Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag. In der Stadt
und ihrem Umkreis solle jetzt alles Hausgeflügel vorsorglich
getötet werden. Damit hat sich die Vogelgrippe erstmals auch im
Südwesten der Türkei gezeigt. Die Ende vergangenen Jahres im
Osten des Landes ausgebrochene Tierseuche hat sich seither im
Südosten, in der Mitte des Landes mit der Hauptstadt Ankara, am
Schwarzen Meer im Norden und im Westen bis Istanbul
ausgebreitet.
In der Türkei ist die Vogelgrippe einem Fernsehsender zufolge
außerdem bei einem weiteren Menschen nachgewiesen worden. Dies
meldete der Sender CNN Türk am Dienstag. Der infizierte Patient
stamme aus der Provinz Sivas im Zentrum des Landes. Sieben
weitere Menschen aus der Region seien ebenfalls auf das Virus
getestet worden.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das türkische
Gesundheitsministerium hatten am Montag mitgeteilt, die
Vogelgrippe sei bislang bei 14 Menschen in der Türkei
nachgewiesen worden. Darin eingeschlossen seien auch die drei an
der Virusvariante H5N1 verstorbenen Kinder aus der Osttürkei.
Der WHO zufolge handelt es sich bei allen Infektionen offenbar
um Übertragungen von Tier zu Mensch.
Bislang waren außer im Osten des Landes in zwei weiteren
türkischen Regionen Vogelgrippe-Fälle registriert worden: in dem
Gebiet um die Hauptstadt Ankara und in Provinzen am Schwarzen
Meer im Norden des Landes. Bereits im vergangenen Oktober war
das Virus in der Türkei bei Vögeln nachgewiesen worden. Dabei
habe es sich allerdings nicht um denselben Erreger gehandelt, an
dem die Kinder in der Osttürkei gestorben seien, hieß es am
Montag. Die Kinder waren die ersten Todesfälle außerhalb von
China und Südostasien. Weltweit sind damit seit 2003
nachweislich 76 Menschen an der Krankheit gestorben.
Keine Beweise für Vogelgrippeinfektion von Mensch zu Mensch
Das Expertenteam der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in
der Türkei jedoch keine Beweise für die Übertragung der
Vogelgrippe von Mensch zu Mensch gefunden. Das teilte die WHO am
Montagabend in Genf mit. Man habe auch nicht feststellen können,
dass das aggressive Virus H5N1, das für den Tod von mindestens
zwei Kindern in der Türkei verantwortlich ist, sich schneller
oder anders verbreite als bisher angenommen. Die meisten
erkrankten Personen in den betroffenen Gebieten der Osttürkei
seien Kinder und bei fast allen hab man Zusammenhänge im Umgang
mit toten oder an Vogelgrippe erkranktem Geflügel feststellen
können.
Neuer Vogelgrippe-Fall in China
Unterdessen hat China einen achten Vogelgrippe-Fall beim
Menschen bestätigt. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua
unter Berufung auf das Gesundheitsministerium am Montag meldete,
wurde bei einem sechs Jahre alten Jungen aus der Provinz Hunan
das gefährliche H5N1-Virus nachgewiesen. Das Kind werde im
Krankenhaus behandelt, sein Zustand sei stabil.
Bevor der Junge krank geworden sei und am 24. Dezember Fieber
sowie Anzeichen einer Lungenentzündung gezeigt habe, sei von der
Familie gehaltenes Geflügel verendet, berichtete das
Ministerium. Vorbeugende Maßnahmen, um eine Ausbreitung der
Krankheit zu verhindern, seien ergriffen worden. Alle Personen,
die engen Kontakt zu dem Jungen gehabt hätten, seien unter
Beobachtung gestellt worden, hätten aber noch keine Symptome der
Krankheit gezeigt.
"Derzeit keine Gefahr durch Vogelgrippe in Deutschland"
Das Robert-Koch-Institut sieht derzeit noch keine Gefahr eines
Übergreifens der in Ost-Asien und in der Türkei grassierenden
Vogelgrippe auf Deutschland. Zurzeit finde kaum Vogelflug statt,
sagte Institutspräsident Reinhard Kurth am Dienstag in der ARD.
Das werde sich im März mit Einsetzen des Vogelzugs ändern, und
dann bestehe auch Gefahr für die deutschen Geflügelbestände.
Kurth warnte davor, Federn oder Geflügelfleisch von
Auslandsreisen mitzubringen. Es wäre sehr gefährlich, derartige
Produkte einzuführen. Reisen in die Türkei, wo drei Kinder an
der Vogelgrippe gestorben waren, seien aber risikolos. "Aber man
sollte seine Reise in die Türkei nicht dazu benutzen, einen
Geflügelmarkt nach dem anderen zu besuchen", sagte Kurth.
Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit schätzt die
Vogelgrippe-Gefahr für Deutschland hingegen als hoch ein. Die
Situation sei deutlich kritischer als noch Anfang letzter Woche
angenommen, sagte der Präsident des
Friedrich-Loeffler-Institutes, Thomas C. Mettenleiter, den
Dortmunder "Ruhr Nachrichten".
Das Risiko einer Einschleppung des H5N1-Virus sei vor allem
durch den sehr starken Reiseverkehr zwischen Deutschland und der
Türkei gegeben. Nachdem die Vogelgrippe in der gesamten Türkei
bis hinein in den europäischen Teil aufgetreten sei, habe sich
die Lage verschärft, betonte Mettenleiter. Die
Grenzkontrollstellen an Flughäfen und bevorzugten Busreiserouten
seien gefordert, ihre Wachsamkeit zu erhöhen.
Immer wahrscheinlicher sei eine abermalige Stallpflicht in
Deutschland. "Schließlich ziehen viele Zugvögel über den Westen
der Türkei im Frühjahr zurück nach Mitteleuropa und damit auch
nach Deutschland", unterstrich Mettenleiter. Eindringlich
appellierte er an Geflügelhalter, Auffälligkeiten sofort zu
melden. Auf eine Seuche sei man zwar vorbereitet. Ein
frühzeitiges Entdecken des Erregers entscheide aber letztendlich
über den Erfolg.
Der Virologe Christian Drosten vom Hamburger
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin hält zudem einen
Ausbruch der Vogelgrippe in Deutschland als Tierkrankheit für
"nicht unwahrscheinlich". Von Februar bis Mai setze eine
Heimflugwelle von Zugvögeln ein, die das Virus mitbringen
könnten, sagte Drosten am Dienstag im Deutschlandradio Kultur.
Für diesen Zeitraum sei eine Wiedereinführung der Stallpflicht
für Geflügel überlegenswert, sagte der Virologe. Allerdings wies
er darauf hin, dass es auch andere Wege gebe, das Virus
einzuschleppen: "Wichtig ist sicher auch das Mitführen von
Geflügelmaterial durch Menschen." Deutschland handle bei den
Kontrollen, zum Beispiel an den Flughäfen, vorbildlich. Auch bei
den Vorbereitungen auf einen Ernstfall sei die Bundesrepublik
"der Musterschüler".
Der Virologe Christian Drosten verwies darauf, dass zurzeit kein
Grund für eine Reisewarnung für die Türkei bestehe. Nach
Auswertung der bisher bekannten genetischen Daten des Virus gehe
man nicht davon aus, dass es für den Menschen gefährlicher
geworden sei. Wahrscheinlich handele es sich immer noch um
dieselbe Variante wie in Südostasien. Alle in der Türkei
erkrankten Menschen hätten sich über direkten Kontakt mit
Geflügel angesteckt.
Mehr Kontrollen gegen Vogelgrippe gefordert
Angesichts immer neuer Vogelgrippe-Fälle hat der Deutsche
Bauernverband strengere Kontrollen gefordert. "Bei Reisenden aus
der Türkei und importierten Waren muss ganz genau hingeschaut
werden", sagte Bauernpräsident Gerd Sonnleitner der in Hannover
erscheinenden "Neuen Presse". Die Bundesländer müssten ihre
Anstrengungen zur Abwehr der Vogelgrippe verstärken, meinte
Sonnleitner. Nach einer Ausweitung der Vogelseuche in der Türkei
waren am Montag bereits verschärfte Sicherheitsmaßnahmen in
Deutschland ergriffen worden.
Nachdem die Vogelgrippe in der Türkei sich auf den europäischen
Teil des Landes ausgedehnt hatte, begannen am Montag in
Deutschland bereits schärfere Kontrollen der Reisenden aus der
Türkei und Südosteuropa. Hessischen Gesundheitsbehörden
kontrollierten laut Umweltministerium mehrere Busse. 200
Kilogramm Risiko-Lebensmittel wie Geflügelfleisch oder Eier
wurden sichergestellt. Das Agrarministerium in Niedersachsen
wies die Sicherheitsbehörden an, Flüge aus der Türkei stärker zu
überprüfen. Auch Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und
Mecklenburg-Vorpommern setzen auf mehr Kontrollen.
In der EU gilt bereits ein Einfuhrverbot für Geflügel und
Geflügelprodukte aus der Türkei und anderen betroffenen Ländern.
Außerdem soll vom heutigen Dienstag an das Importverbot für
Geflügelprodukte aus den östlichen Nachbarländern der Türkei
auch auf Federn ausgedehnt werden. Wer gegen das Importverbot
verstößt, muss mit Bußgeldern von bis zu 25 000 Euro rechnen.
Verstärkte Vorsicht gefragt
Die Bundesregierung rief Urlauber zu verstärkter Vorsicht auf.
Sie sollten in den betroffenen Ländern keine Geflügelmärkte
besuchen und Kontakte mit Tieren vermeiden, sagte eine
Sprecherin des Agrarministeriums. Das größte Risiko gehe von
illegalen Transporten von Geflügel und Geflügelprodukten aus.
Agrarminister Seehofer will am Mittwoch mit den Ländern beraten,
wie vorhandene Kontrollkapazitäten stärker gebündelt werden
können. "Wir werden mit den Kontrollen nicht nachlassen und mit
ganzer Härte gegen die Personen vorgehen, die verbotene Produkte
oder lebende Tiere einzuführen versuchen." Er kündigte zugleich
an, er werde "bei der geringsten Gefahr" nicht zögern, eine
erneute Stallpflicht für Geflügel anzuordnen.
"Im Augenblick gehe ich davon aus, dass die Stallpflicht im
Februar oder März dieses Jahres, wenn die Zugvögel aus ihren
Winterquartieren zurückkommen, erneuert wird", sagte der
Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium, Gert Lindemann,
der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von Dienstag. Zwar hätten
Fachleute bestätigt, dass die Vögel auf ihrem Rückflug weniger
Rast machten, ihre Exkremente stellten aber dennoch ein Risiko
dar.
Lindemann bekräftigte, trotz der Vogelgrippe-Fälle in der Türkei
habe sich an der Gefahreneinschätzung für Deutschland nichts
geändert. In Abstimmung mit den Ländern und der
Bundeszollverwaltung habe sich die Regierung aber zu einer
verstärkten Kontrolle von Fluggästen oder Busreisenden aus den
betroffenen Gebieten entschlossen.
HANDELSBLATT, Dienstag, 10. Januar 2006, 09:15 Uhr