Deutschland stellt Türkei unter Beobachtung

Die Vogelgrippe greift in der Türkei um sich. Die Krankheit hat es bis in den europäischen Teil des Landes geschafft. Das hat auch die deutschen Behörden auf den Plan gerufen. Beamte kontrollieren verstärkt Reisende aus der Türkei.
"Wer illegal Produkte aus Ausbruchsgebieten der Geflügelpest nach Deutschland einführt, handelt unverantwortlich und fahrlässig", sagte Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer am Montag in Berlin. Die Regierung werde mit den verschärften Kontrollen nicht nachlassen und mit ganzer Härte gegen diejenigen vorgehen, die verbotene Produkte oder lebende Tiere einzuführen versuchten.
Am größten deutschen Flughafen in Frankfurt wurden laut einer Sprecherin wegen der wachsenden Zahl von Vogelgrippe-Fälle die Seuchen-Kontrollen verstärkt. Deutsche Experten warnten jedoch vor Panik. Nach wie vor sei das Virus nur im engen Kontakt mit Tieren auf den Menschen übertragbar, nicht aber von Mensch zu Mensch, betonte Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut.
Das Ministerium verwies darauf, dass Reisende aus einer ganzen Reihe von Ländern, in denen die Geflügelpest aufgetreten ist, kein lebendes Geflügel, Fleisch, Eier und andere Geflügelprodukte sowie Federn oder unbehandelte Jagdtrophäen in die Europäische Union einführen dürfen. Bei einem Verstoß drohen Bußgelder von bis zu 25 000 Euro. Der hessische Verbraucherschutzminister Wilhelm Dietzel nannte die illegalen Einfuhren das zurzeit größte Risiko. Erst an zweiter Stelle folge die Gefahr einer Virusübertragung durch Zugvögel.
In der Türkei erhöhte sich die Zahl der Vogelgrippefälle bei Menschen nach Behördenangaben um 5 auf 15. Bei den neu erkrankten Patienten in der Türkei handelt es sich um zwei Brüder im Alter von vier und fünf Jahren, einen Zwölfjährigen und einen weiteren Fünfjährigen aus dem Schwarzmeergebiet nordöstlich der Hauptstadt Ankara. Außerdem hat sich ein 18-Jähriger aus der osttürkischen Stadt Van infiziert, wo in der vergangenen Woche bereits drei Geschwister aus Dogubeyazit gestorben waren. Bei zwei von ihnen hatten Labortests den gefährlichen Vogelgrippeerreger H5N1 als Todesursache bestätigt.
Die Vogelgrippe war Ende vergangenen Jahres im Osten der Türkei aufgetreten und hat sich bis weit in den Westen ausgebreitet. So wurde das Virus auch bei Tieren in westlichen Außenbezirken von Istanbul gefunden; damit ist die Krankheit in Europa angekommen. In den betroffenen Gegenden wurden rund 300 Hühner vorsorglich getötet sowie Quarantänemaßnahmen angeordnet. Infektionen bei Menschen wurden in Istanbul nach Angaben des Provinzgouverneurs Muammer Güler bisher nicht nachgewiesen.
In Deutschland kontrollierten die hessischen Gesundheitsbehörden laut Umweltministerium mehrere Busse aus Ost- und Südosteuropa. 200 Kilogramm Risiko-Lebensmittel wie Geflügelfleisch oder Eier wurden sichergestellt. Das Agrarministerium in Niedersachsen wies die Sicherheitsbehörden an, Flüge aus der Türkei stärker zu überprüfen. Auch Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern setzen auf mehr Kontrollen.
In der EU gilt bereits ein Einfuhrverbot für Geflügel und Geflügelprodukte aus der Türkei und anderen betroffenen Ländern. Außerdem soll von Dienstag an das Importverbot für Geflügelprodukte aus den östlichen Nachbarländern der Türkei auch auf Federn ausgedehnt werden. Wer gegen das Importverbot verstößt, muss mit Bußgeldern von bis zu 25 000 Euro rechnen.
Die Bundesregierung rief Urlauber zu verstärkter Vorsicht auf. Sie sollten in den betroffenen Ländern keine Geflügelmärkte besuchen und Kontakte mit Tieren vermeiden, sagte eine Sprecherin des Agrarministeriums. Das größte Risiko gehe von illegalen Transporten von Geflügel und Geflügelprodukten aus.
Agrarminister Seehofer will am Mittwoch mit den Ländern beraten, wie vorhandene Kontrollkapazitäten stärker gebündelt werden können. "Wir werden mit den Kontrollen nicht nachlassen und mit ganzer Härte gegen die Personen vorgehen, die verbotene Produkte oder lebende Tiere einzuführen versuchen." Er kündigte zugleich an, er werde "bei der geringsten Gefahr" nicht zögern, eine erneute Stallpflicht für Geflügel anzuordnen.
Das Risiko, dass die Vogelgrippe durch infizierte Zugvögel nach Deutschland eingeschleppt wird, hält das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf der Insel Riems aber weiter für gering. Angesichts dessen warnte auch die Vorsitzende des Bundestag-Agrarausschusses, Bärbel Höhn (Grüne), davor, sich nur auf diese Gefahr zu konzentrieren. "Man sollte andere Risiken nicht vernachlässigen", sagte die frühere nordrhein-westfälische Agrarministerin. Sie forderte wie die FDP-Bundestagsfraktion strengere Kontrollen an Flughäfen, aber auch von Transporten auf der Straße.
Anders als Deutschland hält Frankreich verschärfte Maßnahmen wegen der Vogelgrippe in der Türkei nicht für nötig. Das Virus befinde sich in einer Region, wo die Wildvögel in Nord-Süd-Richtung wanderten und nicht von Osten nach Westen, sagte Agrarminister Dominique Bussereau in Bergerac.
Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge gibt es auch derzeit keine Anzeichen für eine Übertragung des Erregers von Mensch zu Mensch. "Glücklicherweise bleibt es bis jetzt ein Tiervirus, das sich leicht von Huhn zu Huhn überträgt", sagte der Leiter des WHO-Influenzaprogramms, Klaus Stöhr, im Rundfunk Berlin-Brandenburg. Allerdings lasse sich eine Infektion von Mensch zu Mensch nicht ausschließen.

HANDELSBLATT, Montag, 09. Januar 2006, 18:34 Uhr


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