China: Lage ist nach neuen Vogelgrippe-Fällen "ernst"
ROM/PEKING. Vermutlich am 17. und 18. Januar soll die
internationale Konferenz in Peking stattfinden. Als Grundlage
für das zweitägige Treffen, an dem Vertreter internationaler
Organisationen und der Regierungen teilnehmen sollen, dienten
die Ergebnisse der vor zwei Wochen in Genf abgehaltenen
Vogelgrippe-Konferenz, erklärte Joseph Domenech, Chefveterinär
der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO), am
Mittwoch in Rom. Im Mittelpunkt stünden Aktionspläne, wie der
weltweiten Bedrohung durch das aggressive Virus H5N1 begegnet
werden kann.
Unterdessen gebe es weiterhin in drei asiatischen Ländern -
China, Indonesien und Vietnam - höchste Alarmbereitschaft wegen
des Virus. China hat drei neue Ausbrüche der Vogelgrippe
gemeldet. Das Landwirtschaftministerium in Peking bestätigte
neue Fälle des gefährlichen H5N1-Virus unter Geflügel in den
nordwestchinesischen Regionen Xinjiang und Ningxia sowie in der
Südprovinz Yunnan, wie die amtlichen Medien am Mittwoch
berichteten. Damit sind allein seit einem Monat 20 Fälle und
seit Jahresanfang 24 gezählt worden. Die Regierung beschrieb die
Lage als "ernst". Die Arzneimittelaufsicht erlaubte klinische
Tests eines Impfstoffes gegen Vogelgrippe für Menschen.
Bislang mussten bereits 21 Millionen Tiere in neun Provinzen
getötet werden. Betroffen sind vor allem arme Bauern, denen
Entschädigungen in Aussicht gestellt wurden. Der China-Experte
des Investmenthauses CLSA, Andy Rothman, sah "die erste echte
Prüfung" für den neuen Staats- und Parteichef Hu Jintao und
Regierungschef Wen Jiabao, ihr Versprechen einzuhalten, sich
besonders um die armen Menschen im Land zu kümmern und ihnen
Vorrang einzuräumen. Es muss nach seinen Worten sichergestellt
werden, dass Entschädigungen bei den Bauern auch ankommen und
dass örtliche Funktionäre die Anweisungen von oben umsetzen.
In anderen Ländern sei "die Situation seit drei Monaten
unverändert und es besteht die große Gefahr, dass sich das Virus
auch in anderen Regionen des südlichen Afrikas und in Nahost
ausbreitet", sagte Domenech weiter. Auch in Europa herrsche
höchste Alarmstufe, "aber falls das Virus kommt, wird es eine
unmittelbare Antwort geben und wir werden in der Lage sein, es
auszulöschen".
Der japanische Virusforscher Masato Tashiro ist davon überzeugt,
dass in Asien nur ein Bruchteil der Vogelgrippe-Fälle ans Licht
kommt. Alle Experten machten sich Sorgen darüber, nur "die
Spitze des Eisbergs" zu kennen und nicht genau zu wissen, was
sich darunter verberge, sagte der Virologe vom japanischen
Nationalinstitut für Infektionskrankheiten.
Tashiro bestätigte, dass nach einer ihm vorliegenden Schätzung
aus China dort bereits 300 Menschen an Vogelgrippe gestorben
seien. Weitere 3 000 seien wegen des Verdachtes auf eine
Ansteckung in Quarantäne gewesen. Seine Quelle sei verlässlich,
"aber überprüfen können wir solche Daten derzeit nicht", sagte
er. Auch sei nicht klar, ob es sich immer um den gefährlichen
Virustyp H5N1 handele. Der Japaner hatte dies erstmals auf einem
Kongress in Marburg bekannt gemacht und damit die Fachwelt in
Aufregung versetzt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat
bisher in Asien insgesamt nur 130 Fälle, darunter 67 Tote
registriert.
Zu Tashiros Angaben wollte die WHO offiziell keine Stellung
nehmen. "Er ist ein hoch angesehener Wissenschaftler, der für
die WHO auf freier Basis arbeitet", sagte Sprecher Dick Thompson
dem Handelsblatt in Genf. Zugleich lobte er die
Informationspolitik Chinas. Er könne aber nicht ausschließen,
dass es beim Informationsfluss aus den Provinzen nach Peking
Verzögerungen gebe. Bei der Krise um die Lungenkrankheit Sars
2003 hatte China lange relevante Informationen zurück gehalten
und so die internationale Reaktion erschwert. Daraus habe China
aber gelernt, sagte Thompson.
Tashiro bezeichnete deutsche Medienberichte, in denen er mit
Kritik an China zitiert wird, als irreführend. 2Ich glaube
nicht, dass Chinas Regierung Fälle absichtlich versteckt. Es ist
unfair, die chinesische Regierung zu kritisieren. Die
Informationen kommen einfach nicht bei ihr an." So sei das
Meldesystem für normale Grippen erst im Aufbau.
Der Asien-Sprecher der WHO in Manila, Peter Cordingeley, sagte
mit Blick auf China: "Je tiefer man in die Provinz kommt, desto
unklarer wird die Lage." Selbst Informationen, die in der
Hauptstadt ankommen, müssen dort erst bürokratische Hürden
nehmen. So sei die mangelnde Zusammenarbeit zwischen
Landwirtschafts- und Gesundheitsministerium ein sehr großes
Problem, sagt Analyst Andy Rothman von der Investmentfirma CLSA
in Schanghai. "Die zweite und noch größere bürokratische Hürde
aber ist, dass lokale Offizielle nicht scharf darauf sind, der
Zentralregierung schlechte Nachrichten zu melden."
Im Internet kursieren schon länger Gerüchte, dass es in China
bereits mehr als 300 Todesopfer gegeben hat - vor allem nachdem
es unter Vögeln im chinesischen Salzsee Qinghai ein
Massensterben gegeben hatte. Die Regierung wies dies stets als
Lügen zurück. Wer von vertuschten Vogelgrippe-Toten in China
berichte, sei "kein sehr weiser Mann", erklärten Vertreter von
Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium in Peking.
Erst am Dienstag meldete China zwei neue Krankheitsausbrüche bei
Geflügel - der 16. und 17. Fall der vergangenen Wochen.
Milliarden von Vögeln sollen geimpft werden. Chinas
Oberveterinär Jia Youling drohte, jeder, der Reports über neue
Fälle "verzögert, vertuscht oder zurückhält", werde hart
bestraft. Seit Dienstag müssen Krankenhäuser Fieberpatienten
melden. Jeder Ausbruch der Seuche muss innerhalb von fünf
Stunden in Peking angezeigt sein.
Das Informationsproblem ist kein spezielles Problem Chinas. Die
Meldesysteme, das Wissen der lokalen Ärzte und die
Untersuchungsmöglichkeiten reichten in vielen Ländern Asiens
nicht aus, berichtet Tashiro. So sei die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass viele Fälle menschlicher Ansteckung nie in den
Statistiken auftauchen.
Neben China tappen die Forscher auch in Ländern wie Nordkorea,
Myanmar und Laos im Dunkeln. In Laos fehlten trotz guten Willens
der Regierung schlicht die Ressourcen. Auch in anderen
asiatischen Ländern müsse die Überwachung und die Bekämpfung der
Vogelgrippe schnellstmöglich verbessert werden. Das geschehe
zwar, aber begrenzte Mittel verzögerten den Prozess. Selbst
Japan habe kein perfektes System, räumte Tashiro ein.
Um wie viel die bekannten weltweiten Zahlen über menschliche
Opfer der Vogelgrippe unter den tatsächlichen liegen, sei schwer
zu sagen. In der Branche geisterten Schätzungen mit einem Faktor
fünf bis zehn. Dies schwanke aber stark nach Land und Region. In
Städten würden Fälle eher bekannt als auf dem Land.
Das Risiko einer Pandemie habe zugenommen und werde weiter
steigen, je länger Übertragungen vom Vogel auf den Menschen
stattfänden, weil damit die Chance für eine Mutation des Virus
steige, warnte Tashiro. Januar und Februar seien in Nordasien
die Hoch-Zeit für Grippefälle. Dennoch gebe es "keinen Grund zur
Überreaktion", sagte Tashiro. Auch wenn es mittlerweile "sehr
wahrscheinlich" sei, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch
stattgefunden habe, seien dies Einzelfälle und noch keine
nachhaltige Ansteckung, die das Problem auf eine neue Stufe
heben würde.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 23. November 2005, 16:41 Uhr