Unter Kontrolle? / Chinesisches Katastrophen-Theater
Von Andreas Hoffbauer
PEKING. Man kann die Vorgänge in Qitai auch
Katastrophen-Theater nennen, das die chinesischen Behörden für
Journalisten veranstalten. Denn der Ort liegt in jener Region
der Provinz Liaoning, die seit Anfang November immer wieder zum
Vogelgrippe-Herd in China wurde. Für Journalisten war das Gebiet
darum tabu. Jetzt dürfen sie auf Einladung der Regierung hautnah
erleben, dass wieder alles unter Kontrolle ist. Wer es immer
noch nicht glauben will, den belehren Transparente am
Straßenrand: "Endgültiger Sieg über die Vogelgrippe", steht da
geschrieben. Oder: "Gute Vorsorge und Kontrolle gegen die
Seuche."
Für Bauer Zhao Wenxiang kommt das zu spät: Er habe 1 800 Hühner
schlachten müssen, sagt er, nachdem der Killervirus Anfang
November in Qitai aufgetaucht war. Trotz der Kompensation hat er
viel Geld verloren. Doch er sei nicht traurig, sagt Zhao: "Denn
wir sind froh zu wissen, dass die Notschlachtung nötig war - wie
es uns die Regierung erklärt hat." Die Mitarbeiter der
Provinzbehörden ringsum nicken zufrieden. Alles unter Kontrolle.
Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Situation in
China dagegen keineswegs unter Kontrolle. Nachdem die Regierung
in Peking bekannt gegeben hat, dass zwei Menschen an dem Virus
starben, sind weitere Fälle nicht ausgeschlossen. "Solange es
Ausbrüche bei Geflügel gibt, werden Menschen dem Virus
ausgesetzt und wir können davon ausgehen, dass Menschen
infiziert werden könnten", sagt Henk Bekedam, WHO-Vertreter in
Peking.
Auch die Ankündigung der Behörden, man wolle alles Geflügel im
Reich der Mitte gegen Vogelgrippe impfen, stößt bei der WHO auf
wenig Zustimmung. Da von den 14 Mrd. Hühnern und Gänsen rund 70
Prozent in privaten Ställen und Höfen leben, sei eine
Massenimpfung kaum realistisch. Immerhin: Im Vergleich zur
Lungenkrankheit Sars, deren Ausbruch China lange Zeit
abgestritten hatte, sei die offenere Politik in Peking "sehr
ermutigend", sagt Bekedam.
Doch es gibt weitere unklare Todesfälle in China, über die die
WHO Informationen einfordert. Die Regierung weist alle Vorwürfe,
sie vertusche Todesfälle im Land, energisch zurück. Hongkong
plant dennoch, die Grenzen zum Festland dicht zu machen, wenn
sich das Virus weiter ausbreitet. Jetzt wurden Fiebermessungen
bei der Einreise eingeführt.
Zwar macht das Virus China zunehmend nervös. Aber von Panik ist
trotz der ersten Vogelgrippe-Toten im Land nichts zu spüren.
Auch wenn die Preise von Hühnchenfleisch stark gesunken und der
Geflügelhandel eingebrochen sind, vertrauen die meisten Chinesen
noch auf die Behörden. "Die sind durch die Sars-Krise doch
diesmal viel besser vorbereitet", meint ein Lehrer in Peking. In
der Hauptstadt hat man das einst eilig gebaute
Quarantäne-Krankenhaus für Sars-Patienten zur Bereitschaft
reaktiviert. Vorsorglich - für alle Fälle.
HANDELSBLATT, Freitag, 18. November 2005, 09:13 Uhr