WHO warnt: Vogelgrippe in China nur schwer einzudämmen

PEKING. Im bevorstehenden Winter sei in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde mit mehr Fällen zu rechnen, sagte der WHO-Chef für China, Henk Bekedam am Donnerstag in Peking. Er lobte die Bemühungen der Regierung, die Seuche einzudämmen. Wegen der weit verbreiteten und schwer zu kontrollierenden privaten Hühnerhaltung stoße China dabei jedoch an Grenzen. Experten zufolge droht eine Pandemie mit Millionen von Toten, wenn sich der Vogelgrippe-Virus die Fähigkeit gängiger Grippe-Erreger aneignet, leicht von Mensch zu Mensch überzuspringen.
China ist nach Vietnam, Thailand, Indonesien und Kambodscha das fünfte asiatische Land, in dem Menschen einer Infektion mit der Tierseuche erlegen sind. Indonesien bestätigte am Donnerstag zwei weitere Todesfälle. Damit erhöhte sich die Zahl der an der Vogelgrippe gestorbenen Menschen auf 67. Dies entspricht ungefähr der Hälfte aller Infizierten. Außerhalb Asiens ist noch keine Ansteckung von Menschen festgestellt worden. Der auch für Menschen gefährliche Virusstamm H5N1 hat aber inzwischen auch Osteuropa, Russland und den Nahen Osten erreicht.
Die chinesische Regierung berichtete am Donnerstag zudem von zwei weiteren Regionen, in denen die Tierseuche ausgebrochen sei. Die eine liegt der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge in der Mitte des Landes, die andere im Westen in der Provinz Xinjiang. Damit ist die Seuche innerhalb weniger Wochen in mehr als zehn Gebieten aufgetaucht, obwohl sie zuvor als unter Kontrolle galt.
"Wir erwarten, dass die Seuche noch häufiger unter Geflügel ausbricht", sagte Bekedam in Peking. "Und so lange das geschieht, sind Menschen den Erregern ausgesetzt und wir müssen davon ausgehen, dass sie sich anstecken." In Asien halten viele Menschen privat Hühner und Vögel. 70 Prozent des chinesischen Bestandes von 14 Mrd. Tieren verteilen sich auf Gärten und Hinterhöfe. Der enge Kontakt zwischen Tier und Mensch begünstigt die befürchtete Vermischung von Vogelgrippe-Viren mit anderen Grippe-Viren und erschwert eine Kontrolle der Infektionen. Die WHO geht davon aus, dass eine Mutation des Vogelgrippe-Virus und damit eine Pandemie nur eine Frage der Zeit ist. Jüngsten WHO-Angaben zufolge hat der Virus durch Veränderungen bereits den nächsten Schritt getan und die Fähigkeit erworben, sich in Säugetieren zu vermehren.
Die zumeist staatlich gelenkten chinesischen Medien berichteten über die ersten Infektionen bei Menschen in großer Aufmachung. Auch die verzweifelten Angehörigen der Betroffenen kamen zu Wort. Dies bedeutete einen auffälligen Gegensatz zum Umgang des Landes mit der ebenfalls lebensgefährlichen Lungenkrankheit Sars, die sich vor zwei Jahren von Asien aus weltweit verbreitete. Damals versuchte China, die ersten Todesfälle zu verbergen, und schürte damit weltweit Ängste, die Krankheit habe weiter Fuß gefasst als bekannt. Die Reisebranche brauchte Monate, um sich von dem dadurch verursachten Einbruch bei den Buchungszahlen zu erholen.
Das chinesische Außenministerium wies jeden Verdacht zurück, die kommunistische Volksrepublik würde nicht offen mit der Vogelgrippe umgehen: "Wir haben nichts zu verbergen und es gibt auch keine Notwendigkeit, es zu tun", sagte ein Sprecher. Die WHO wies auf die Gefahr hin, dass die Behörden in dem riesigen Land vor besonderen Schwierigkeiten stünden: "Selbst wenn die Regierung zum Kampf gegen die Vogelgrippe entschlossen ist, kann s sein, dass die Informationen über das Geflügel, besonders das privat gehaltene, etwas spät ankommen", sagte Bekedam.
In Indonesien registrierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) derweil zwei weitere tödliche Vogelgrippefälle. Auch bei den beiden indonesischen Vogelgrippe-Opfern handelt es sich wie in China um Frauen. Sie waren von einem Labor in Hongkong positiv auf den Erreger getestet worden. Damit starben in dem Land bislang sieben Menschen an dem Virus H5N1. In Asien sind nun fast 70 Todesfälle durch die Vogelgrippe bestätigt. Insgesamt hat die WHO rund 130 Erkrankungen von Menschen gezählt.

HANDELSBLATT, Donnerstag, 17. November 2005, 16:45 Uhr


zurück zur Vogelgrippe-Startseite