Kritik an EU-Kommission - Deutschland rüstet sich gegen Killer-Virus

Die auch für den Menschen gefährliche Vogelgrippe ist näher an Deutschland herangerückt. EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou sagte, dass es für Panik noch keinen Anlass gebe. "Aber wir sollten vorbereitet sein", denn wenn das Virus mutiere, werde es problematisch. Unterdessen hat das Bundesverbraucherschutzministerium die EU-Kommission kritisiert.

BERLIN/BRÜSSEL. Angesichts des in der Türkei gefundenen Vogelgrippe-Erregers H5N1 will die Bundesregierung Reisende aus der Türkei, Russland, Südostasien und Rumänien schärfer kontrollieren. Weitere konkrete Maßnahmen seien derzeit nicht geplant, teilte Bundesverbraucherminister Jürgen Trittin (Grüne) am Donnerstag mit. "Wir haben in Deutschland keinen Virusfall." Die EU-Kommission hat Geflügelimporte aus Rumänien sowie der Türkei und vielen weiteren Ländern Asiens bereits verboten.
Die Bundesregierung sehe den Fall in der Türkei "mit Besorgnis", sagte Trittin. Es gebe derzeit aber keine Beweise für einen Vogelflug von der Türkei nach Deutschland und damit eine Übertragung der Erreger auf Vögel in Deutschland, betonte der Minister, der das Amt von Renate Künast (Grüne) übernommen hatte. "Mehr Sorge machen uns illegale Transporte und unvorsichtig reisende Menschen." Das hessische Umweltministerium kündigte an, die Kontrollen am Frankfurter Flughafen zu verstärken. Gepäck von Reisenden aus der Türkei und Rumänien werde nun gezielter überprüft.
Man gehe "vom schlechtesten Fall" aus und stehe in laufenden Beratungen mit der EU-Kommission und den Bundesländern, erklärte der Minister. An ein Freilaufverbot für Geflügel in ganz Deutschland werde noch nicht gedacht. "Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir keinen Anlass, mit der Eilverordnung zu reagieren", sagte Trittin. Die Eilverordnung sieht vor, dass Geflügelzüchter ihre Tiere in Ställen halten und schärfer Meldeauflagen und Kontrollen einhalten müssen.
Aus Angst vor der Vogelgrippe decken sich die Deutschen verstärkt mit Grippemitteln ein. "Die Nachfrage war in den letzten Wochen extrem hoch", sagte die Geschäftsführerin Pharmazie bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Christiane Eckert-Lill, am Donnerstag. Allein im August seien 79 000 Packungen verschreibungspflichtige Grippemedikamente wie Tamiflu verkauft worden. Im Vorjahresmonat seien gerade mal 900 Packungen über den Ladentisch gegangen. Das Mittel hemmt die Vermehrung der Viren, wenn es kurz nach einer Infektion eingenommen wird.
Die Kommission empfahl für die EU-Bevölkerung die Ausweitung normaler Grippeschutzimpfungen. Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürchten, dass in einem infizierten Menschen aus einem menschlichen Virus und einem Vogelgrippevirus ein neuer, hochgefährlicher Erreger entstehen könnte. Für die Beschäftigten in Geflügelfarmen und in der Landwirtschaft werde geprüft, welche Schutzmaßnahmen nötig seien.
Das Verbraucherministerium hat derweil die EU-Kommission wegen widersprüchlicher Angaben zur Vogelgrippe in Rumänien kritisiert. Geflügelhalter und Bürger hätten das Recht, dass mit ihren Sorgen verantwortungsbewusst umgegangen werde, sagte Verbraucherstaatssekretär Alexander Müller am Donnerstag in Berlin. Die FDP-Bundestagsfraktion warf Brüssel ein dilettantisches Vorgehen vor. Die Kommission hatte erst Entwarnung gegeben, dann aber den Nachweis des Vogelgrippe-Virus H5 gemeldet.
Müller forderte umgehend eine Sondersitzung der zuständigen EU-Gremien, um die Situation zu bewerten. Nach Auskunft der Wissenschaftler des Friedrich-Loeffler- Instituts bestehe kein regulärer Vogelzug zwischen Rumänien und Deutschland zu diesem Zeitpunkt. Gerade in unklaren Situationen müsse aber vom schlimmsten Fall ausgegangen werden, erklärte Müller weiter. "Entwarnung darf nur dann gegeben werden, wenn auch wirklich belastbare Informationen vorliegen." Der Staatssekretär bat die zuständigen Bundesländer, das EU-weite Importverbot für lebendes Geflügel, Geflügelfleisch und sonstige Geflügelprodukte aus Rumänien schon im Vorgriff auf eine endgültige EU-Entscheidung umzusetzen.
Trittin kündigte an, dass das Geflügel-Importverbot mit verschräften Kontrollen durchgesetzt werden soll. "Wo wir kontrollieren, werden wir regelmässig fündig", sagte er. Allein bei Kontrollen am Frankfurter Flughafen seien 608 Verstöße aufgefallen. Die Kontrollen sollen mit Blick auf Reisende aus der Türkei und Rumänien verstärkt werden.
Hessen hat nach dem Nachweis der Vogelgrippe in Rumänien und der Türkei die Einfuhrkontrollen am Frankfurter Flughafen schon verstärkt. Die Stichproben bei Maschinen aus Asien seien auf die beiden Länder ausgedehnt und das Personal verstärkt worden, sagte eine Sprecherin des Wiesbadener Umweltministeriums am Donnerstag.

"Verbraucher durch Geflügelpest nicht gefährdet"

Von den aktuellen Vogelgrippe-Fällen in der Türkei, Rumänien und Südostasien geht für den Verbraucher nach Expertenansicht jedoch kein Gesundheitsrisiko aus. "Wenn die Lebensmittelhygiene beachtet wird, wenn Fleisch und Eier also vor Verzehr gekocht werden, besteht keine Gefahr", sagte am Donnerstag der Osnabrücker Veterinär und Experte für Tier- und Lebensmittelhygiene, Luis León, in einem Gespräch mit der dpa. Landwirte müssten allerdings beim Umgang mit Geflügel besondere Vorsichtsmaßnahmen beachten.
Für Geflügelzüchter mit direktem Kontakt zu den Tieren könne die Krankheit sehr wohl gefährlich sein, sagte León. "Sie ist bei uns aber noch nicht aufgetreten", betonte der Wissenschaftler von der Fachhochschule Osnabrück. Befürchtungen, die Krankheit könnte in großem Umfang auch für Menschen gefährlich werden, seien sehr spekulativ. Das tödliche Virus könne sich nur bei sehr intensiven Kontakt zu den Tieren auf Menschen übertragen. "Dazu muss man die von den Tieren ausgehenden Partikel einatmen." Da in Europa die Tierhaltung sehr viel industrialisierter sei als in Asien, sei die Gefahr aber nicht sehr groß.
Die von den europäischen und deutschen Behörden ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen seien im Augenblick ausreichend, sagte León. Eine Übertragung durch Zugvögel halte er für nicht sehr wahrscheinlich. Zwar könnten Krankheiten über Zugvögel aus fernen Ländern eingeschleppt werden. "Tiere, die an dieser Art der Vogelgrippe erkrankt sind, dürften aber zu schwach sein, um die lange Reise von Asien über Afrika nach Europa zu schaffen", betonte der Wissenschaftler.

Jäger beugen der Vogelgrippe vor

"Uns ist es lieber, einzelne Tiere zu schießen, als das Virus erst im Hühnerstall zu entdecken", sagt der Sprecher der Landesjägerschaft Niedersachsen, Detlev Kraatz. So leisteten die Jäger ihren Beitrag zur Seuchenvorsorge. Allerdings würden nicht viel mehr Tiere geschossen als sonst, meint Kraatz. In Niedersachsen seien im vergangenen Jahr 150 000 Wildenten und 6700 Wildgänse geschossen worden. "Da fallen die 450 angeordneten Proben zahlenmäßig kaum ins Gewicht."
Niedersachsen hat unter den Bundesländern die bei weitem größte Geflügelzucht. Es beheimatet mit rund 72 Mill. Tieren in etwa 22 000 Beständen 60 % des Wirtschaftsgeflügels bundesweit. Aus Vorsorgegründen hat es daher ebenso wie Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern in einigen Regionen Mitte September ein Freilaufverbot für Geflügel verhängt. Damit soll verhindert werden, dass das Virus von Wildvögeln auf Geflügel überspringt. Es gilt bis zum 30. November, dem Ende der Vogelflugzeit.
Bundesweit werden im Rahmen eines so genannten Monitorings Wildvögel auf den Erreger untersucht. In Niedersachsen seien alle Jäger gebeten worden, sich an dem Monitoring zu beteiligen, sagte Kraatz. Für die Seuchenprophylaxe wurde nach seinen Angaben in insgesamt 13 niedersächsischen Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen sich Rastplätze der Zugvögel befinden, etwaige Schonzeiten für Krick-, Pfeifen-, Spieß-, Stock-, Reiher- und Tafelenten aufgehoben.
Natürlich würden nicht alle 450 insgesamt geforderten Tiere an einem Tag erlegt, sagt der Jäger. "Es funktioniert nicht nach dem Motto, heute will ich "ne Krickente schießen". Bei ihren Jagden brächten die Weidmänner vielmehr einzelne Enten mit. Für die Untersuchung auf das Virus sind neben dem ganzen Vogel auch die Eingeweide oder ein etwa zehn Zentimeter langes Enddarmstück geeignet. Bei Gänsen reiche auch frischer Kot, erklärt Kraatz.
Eine besonders hohe Ansteckungsgefahr besteht auch im Reiseverkehr. Deshalb hat das Bundesverbraucherministerium beschlossen, die Kontrollen an Flughäfen, Autobahnen und Grenzen zu verschärfen. Die größte Sorge bereite der illegale Transport von Lebensmitteln, sagte der Staatssekretär im Verbraucherministerium, Alexander Müller am Mittwoch. Bisher ist das hochgefährliche Virus H5N1 laut Müller in Deutschland noch nicht entdeckt worden.

HANDELSBLATT, Donnerstag, 13. Oktober 2005, 16:15 Uhr


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