Uwe Gerd Liebert zu den Gefahren der Vogelgrippe: "Gefahr heute nicht größer als vor einem Jahr"

Die Vogelgrippe ist in aller Munde - es wird spekuliert, diskutiert, administriert. Die Medien sind voller Warnungen. Uwe Gerd Liebert, Direktor des Instituts für Virologie der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, erläutert wie gefährlich das Virus wirklich für die Menschen ist.

Herr Professor Liebert, wie hoch ist die Gefahr für infizierte Menschen, am Vogelgrippe-Virus zu sterben? Es ist von bis zu 50 Prozent die Rede.

Dazu gibt es noch keine seriös ermittelten Aussagen. Wir wissen nämlich nicht, wie viele der Infizierten sich überhaupt in ärztliche Behandlung begeben. Die Tatsache, dass von den allerschlimmsten Fällen viele tödlich enden, sagt wenig über die den Ausgang der Gesamtheit von Infektionen und über die Häufigkeit von Infektionen in einer Population.

Weshalb kann ein Virus, das normalerweise von Tier zu Tier springt, plötzlich auch Menschen befallen? Wie außergewöhnlich ist das Überwinden der Artenbarriere?

Das ist für Viren das Normale. Sie sind ja im Gegensatz zu Bakterien keine kompliziert funktionierenden Zellen sondern einfach gebaute Partikel aus Eiweiß. Ihre Erbinformationen bestehen aus einem sehr schlichten Baukasten. Das macht sie so flexibel - und so gefährlich. Bisher ist jedoch nur nachgewiesen worden, dass das Vogelgrippe-Virus vom Tier zum Menschen weitergegeben wird. Eine Infektion von Mensch zu Mensch ist bislang nicht erwiesen. Aber sie ist eben auch nicht ausgeschlossen und wird immer mal wieder vermutet.

Wie entstehen Vogelgrippe-Viren?

Es ist ein Kreuzung zwischen einem Influenza-Virus, das bisher nur beim Menschen bekannt war und einem, das nur Tiere befiel. Bislang sind laut Weltgesundheitsorganisation mehr als 15 Subtypen von Grippeviren bekannt, die Vögel infizieren können. Wenn ein Tier gleichzeitig an mehreren Viren-Typen, darunter auch menschlichen, erkrankt und die Erreger dann auch noch in derselben Zelle aufeinandertreffen, dann entsteht möglicherweise ein neues Virus. Aber von dem ist erst einmal nur der Vogel betroffen. Wenn die Tierhalter mit ihrem Geflügel sehr eng und unter schlechten hygienischen Bedingungen zusammenleben, dann kann auch der Mensch angesteckt werden. Das ist vermutlich seit Jahrhunderten so - und seit acht Jahren weiß man um die Details.

Wenn das Vogelgrippevirus seit acht Jahren enttarnt ist, warum dann gerade jetzt diese aufflammende Sensibilität für das Thema?

Ich sehe die Gefahr heute nicht deutlich größer als vor einem oder zwei Jahren. Aber Medien und Politik ist sie endlich bewusst geworden.

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie, also eine weltweiten Epidemie, gering ist, ihre Folgen wären dramatisch. Wie sehen Sie die Vorbereitungen, die in der Bundesrepublik gegenwärtig getroffen werden?

Die meisten gesetzlichen Regelungen sind vernünftig, manche weniger. So sehe ich nicht, wie ein über einen Geflügelhof gespanntes Netz die dort frei herumlaufenden Tiere vor dem herabfallenden Kot eventuelle erkrankter Wildvögel schützen soll. Die Forschung machte - und das nicht erst seitdem das Thema in den Medien ist - entscheidende Fortschritte. Insbesondere im Friedrich-Loeffler-Institut, das auf der Insel Riems unter Hochsicherheits-Bedingungen Experimente zu Infektionskrankheiten bei Tieren unternimmt, geht man sehr zielgerichtet vor. Bei der Entwicklung des Serums gegen die Vogelgrippe griffen die Wissenschaftler auf Ergebnisse molekularbiologischer Grundlagenforschung zurück und veränderten mit Hilfe gentechnischer Methoden die Erbinformation für ein entsprechendes Virusprotein.

Mehr Sorgen macht mir allerdings die bisher nicht genügende Bevorratung mit Medikamenten. Da bisher noch keine Resistenz der Viren gegenüber den gängigen Mitteln entdeckt wurde, würde das auch nicht bedeuten, dass diese Bestände immer wieder ausgetauscht werden müssten.

Thema Impfung. Bisher wird kein Serum produziert, das gegen die Vogelgrippe schützt. Sollte man sich trotzdem gegen die bekannte Influenza impfen lassen?

Unbedingt! Schon die Zahlen sprechen dafür: In Asien sind bisher 60 Betroffene an der Vogelgrippe gestorben. In Deutschland werden jährlich zwischen 6000 und 10000 Todesfälle auf Influenza oder ihre Komplikationen zurückgeführt. Möglicherweise würde auch eine Vogelgrippe-Infektion mit dem herkömmlichen Impfschutz glimpflicher ablaufen, denn die beiden Virenarten sind entfernte Verwandte. Alle Thesen, dass eine überstandene Infektion den Körper stärke, sind lebensgefährlicher Unsinn.

Was kann man außerdem tun, um sich zu schützen?

Er sollte als Tourist keine asiatischen Geflügelmärkte besuchen. Falls die Krankheit bei uns ankommt, wäre es nötig, den Kontakt zu Farmen mit Freilandgeflügel zu meiden, Eier und Fleisch gut durchzugaren und Federn nur zu verwenden, wenn die hoch erhitzt wurden.

Woran arbeitet Ihr Insitut im Zusammenhang mit der Vogelgrippe?

Wir hier am Institut für Virologie arbeiten an der Entwicklung eines Tests, mit dem man den Virus im menschlichen Körper nachweisen kann und eines Tests, der die Immunreaktion anzeigt. Solche Tests sind bislang nicht am Markt erhältlich. Aber wir brauchen sie, um im Notfall eine schnelle und flächendeckende Diagnostik garantieren zu können. Und dies ist die Voraussetzung für eine zielgerichtete Behandlung.

Das Gespräch führte Marlis Heinz

HANDELSBLATT, Donnerstag, 25. August 2005, 16:00 Uhr


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